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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Kleinen gekniet hab, bei den jungen Karnickeln, da guckt sie hoch, und ich gucke auch hoch, und über uns ist genau dieses Fenster. Es war das zweite an der Seite zum Weg hin, glaube ich. Da war ein Kind, ein Junge, und lauter, wie heißt das, Kaufleute? Wie beim Jahrmarkt, mit bunten Ständen … aber die Leute waren dabei, abzuhauen vor dem Jungen, und er sah aus, als würde er sie mit den Armen verscheuchen. Und das Ganze war in einem Raum mit … na? Mit lauter Säulen drin.«
    »Die Vertreibung der Pharisäer aus dem Tempel«, sagte Siri.
    »Keine Ahnung«, sagte Aljoscha. »Ist schön, wenn’s Ihnen was helfen tut. Aber von wegen der Kirche und dem Friedhof, ich wollte Ihnen sagen …« Er verstummte. Da war kein Knacken und Brechen mehr, Aljoscha war fertig mit seinem Fang, der Eimer ein Fischfriedhof. Für Momente strich nur der Wind durchs Schilf.
    »Das Friedhofskind«, sagte Aljoscha schließlich leise. »Sie haben schon mit ihm geredet, hört man, und …«
    »Die Frauen haben gesagt, er spricht mit den Toten.« Lenz hörte ein leises Lachen in Siris Stimme.
    »Haben sie das, soso«, sagte Aljoscha und lachte nicht. »Haben Sie ihn mal sitzen sehen? Ganz starr, stundenlang … und dann steht er plötzlich auf und geht weg. Aber jeder kann sitzen, wo er will, ist ein freies Land. Ich denk nur zum Beispiel an den jungen Kaminski.«
    »Der vom Dach gefallen ist, wo der Geist seines Vaters ihn hinaufgelockt hat«, sagte Siri. »Ich weiß nicht. Ich meine … ich persönlich habe keine Toten hier. Das Friedhofskind kann also niemanden überreden, mich zu besuchen und mich von irgendwelchen Dächern zu schubsen.«
    »Sie brauchen vielleicht keine Toten hier«, sagte Aljoscha langsam, »damit es gefährlich wird. Ich kenn Sie nich, aber Sie sind ein nettes Mädchen … und ich würd’s nich gern sehen, wenn Ihnen was zustoßen würde. Sie wissen nich, was der junge Fuhrmann getan hat. Ich meine, keiner hat’s beweisen können, aber … ich würde Ihnen einfach raten, die Fenster zu machen, so schnell Sie können, und zu verschwinden.«
    »Interessant«, sagte Siri. »Genau das hat er auch gesagt. Er scheint sich unbedingt mit mir streiten zu wollen.« Die beiden anderen Fischerboote kamen jetzt herangeknattert, und der Lärm ihrer Motoren übertönte die Worte am Steg beinahe.
    Unbedingt mit ihr streiten?, dachte Lenz. Wie kam sie darauf? Er wollte nur, dass sie ging.
    »Na ja«, sagte Aljoscha. »Gefährlicher wär es vielleicht, er würde Sie mögen.«
    Lenz hörte nicht, was die Fensterfrau antwortete; die Motoren verschluckten jedes weitere Wort. Und als sie verstummten, als die Fischerboote am Steg anlegten, zupfte jemand ihn am Hemd. Hinter ihm im Schilf stand Iris. Der Morast reichte ihr bis zu den Knien.
    »Was ist los?«, fragte sie. »Warum versteckst du dich hier und machst ein Gesicht wie sieben Tage Regenwürmer? Wir wollten Schiffchen schwimmen lassen! Ich habe drüben auf dich gewartet, hinter dem Schilf, auf der versteckten kleinen Sandbank … der Sand ist schon ganz warm von der Sonne.«
    »Iris«, wisperte Lenz. Er lauschte einen Moment in Richtung Steg, doch dort schwammen nur noch die Stimmen der Fischer in der Luft, Stimmen, die über Netze und Fische und Gewicht und Preise sprachen.
    »Iris, ich muss dich etwas fragen«, begann er. »Etwas über mich … damals …«
    Sie sah ihm in die Augen. Ihr Blick war blauer als ihr Kleid, blauer als das Meer, blauer als der Himmel. Und auf einmal schüttelte er den Kopf.
    »Vielleicht ist es nicht wichtig. Lass uns Schiffchen bauen.«
    Und dann saßen sie im warmen Sand, und Lenz sah seinen groben Fingern dabei zu, wie sie mit der Messerspitze winzige Löcher für winzige Äste in winzige Rindenstückchen bohrten. Die Schiffe, die er schließlich aufs Wasser setzte, waren kaum größer als Iris’ Hand. Das Wasser war hier knietief, die Sandbank zwischen den Schilfhalmen nicht länger als Lenz, wenn er sich hinlegte, und einen halben Meter breit.
    Kleine Welt.
    »Du denkst über etwas nach«, sagte Iris. »Ist es die Fensterfrau? Die du belauschst hast? Neulich hast du versucht, sie loszuwerden. Warum willst du das, Lenz? Warum willst du sie vergraulen?«
    »Sie gehört nicht hierher.« Er wich ihrem Blick aus. »Du wolltest auch nicht mit ihr reden. Jedes Mal, wenn sie auftaucht, verschwindest du.«
    »Das hat andere Gründe«, antwortete Iris und sprang auf. »Schau! Da kommt ein Schiffchen zu uns ins Schilf geschwommen! Ein fremdes

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