Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
Fuhrmann hatten nirgendwohin geführt. Und schließlich hatte sie sich in die Kellerwohnung zurückgezogen und versucht, sich auf die Zeichnungen und die Pappschablonen zu konzentrieren. Sie hatte die farbigen Gläser für vier der Fenster bestellt, in der Kfz-Werkstatt hatten sie sie telefonieren lassen.
    Sie hatte, als sie das Handy zu Hause gelassen hatte, nicht daran gedacht, dass sie die Gläser würde bestellen müssen. Werter, der Chef der Werkstatt, hatte seinen silbrigen Lockenkopf geschüttelt.
    Siri hatte ihn am Abend auf der Skizze der Totenauferweckung wiedergefunden, er stand jetzt ganz vorne bei den Neugierigen und lächelte auf den Betrachter des Fensters hinab, wohlwollend und in sicher selber ruhend.
    Die Gläser, in jedem Fall, waren bestellt.
    Siri blieb vor der verschlossenen Flügeltür der kleinen Kirche stehen und legte den Kopf in den Nacken. »Bald«, flüsterte sie. »Bald wird da oben ein Sternenschauer leuchten. Dunkelblau und weiß.«
    Sie hörte jemanden durch das Friedhofstor kommen und trat hinter die Ecke der Kirche zurück, um nicht gesehen zu werden. Sie hatte keine Lust, Saatkartoffelgespräche oder Kuchenrezepte an die Backe geklebt zu bekommen, nicht an diesem unglaublichen blühenden Tag.
    »Da vorn«, sagte jemand beim Tor. »Ich will in die Ecke, wo ich Lottes Grab sehen kann und die anderen auch. Da wird es wohl ein Fleckchen Gras geben, wo man sich hinsetzen kann?«
    Die Stimmen kamen näher.
    »Du kannst sie nicht sehen«, sagte eine zweite Stimme. Lenz.
    Siri atmete die Luft im Friedhofsgarten – Gartenfriedhof? – tief ein und wieder aus.
    Sie folgte ihnen um die Kirche herum und lehnte sich an die sonnenbeschienene Feldsteinwand, verborgen hinter einer anderen Ecke, nur leise atmend. Ich bin wie Iris, dachte sie. Ich verstecke mich und belausche Leute. Ob ich demnächst auf eine Mauer klettern werde?
    »Kann ich sie von hier aus sehen?«, hörte sie den alten Fuhrmann fragen. »Lotte Fuhrmann, Jens Fuhrmann, Carla Berg. Kann ich sie sehen, Junge?«
    »Ja. Du kannst sie sehen. Aber du weißt, dass Lotte und Jens keine Gräber mehr haben. Da sind nur noch die Steinplatten, die an der Mauer lehnen.«
    »Ha! Die Steinplatten. Ja, ich weiß. Du hast sie ausbuddeln müssen. Dreißig Jahre Liegezeit, was, kein Mensch hat mehr ein Grab heutzutage, die Leute haben Liegeplätze, Verrottungsplätze, und wenn die Maden sie gefressen haben, müssen auch die Namen gehen. Wann ist das dritte Grab dran? Das Grab von der Berg?«
    »Wir haben sie am 2.   10.’89 begraben. Sie hat noch sieben Jahre. Aber wir sind nicht hergekommen, um über Jahreszahlen zu reden. Du hast versprochen, dass du erzählen wirst. Fang an. Ich war acht … und die Familie Weiß kam in einem schwarzen Auto aus Berlin.«
    »Ha! Ja. Und aus dem Auto stieg ein Mädchen in einem blauen Kleid, und ihr wart nicht mehr auseinanderzudividieren. Iris Weiß. War schon hübsch, die Kleine, blonde Locken wie ein verdammter Kirchenengel, ein Kind wie auf einem Abziehbild. Sie hatte dauernd Ärger mit der Mutter, weil sie mit dir rumgerannt ist und sich schmutzig gemacht hat, bis die Frau es aufgegeben hat. Die lag den ganzen Tag im Liegestuhl und las, mit dieser lächerlichen riesigen Sonnenbrille im Gesicht, die war was Besseres, die war Vollzeit-was-Besseres. Aber sie hatte es mit den Nerven, vielleicht hätte sie einem leidtun sollen. Deine Mutter, Lotte, war ganz anders. Stand mit beiden Beinen auf der Erde, und trotzdem hat die Welt keine schönere Frau gesehen. Ich war natürlich nicht der Einzige, der das gemerkt hat …«
    »Wir waren bei Iris.«
    »Verdammt, darf man nicht erzählen, wie’s einem selber passt? Von mir aus, Iris. Sie ist den ganzen Sommer in deinen Sachen rumgerannt. Hat mir ’n Stück Bindfaden abgebettelt, weil deine Hosen ihr zu weit waren. Ab und zu hat die Mutter sie erwischt und gekämmt und in ein feines Kleid gesteckt, aber dann haben die Nerven sie wieder gepackt, und sie hat das Kind laufen lassen … Und der Vater, hin und her von Berlin, hat tausend letzte Dinge erledigt, weil sie weggehen wollten. Oder sollten. Nach dem Sommer. Irgendwohin zu den Negern, was war der Mann noch? Irgendwas mit Wirtschaft, Einkauf und Verkauf und sonst was, Papier, glaube ich … vielleicht waren ein paar selbst gefaltete Waffen dabei. Ha.«
    »Iris. Du erzählst von Iris.«
    »Iris ist im Oktober in das schwarze Auto gestiegen und weggefahren. Mit ihren Eltern. Ende.«
    »Sie ist

Weitere Kostenlose Bücher