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Friedhofskind (German Edition)

Friedhofskind (German Edition)

Titel: Friedhofskind (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zurückgekommen.«
    »Schön, sie ist zurückgekommen. Ich dachte, du erinnerst dich nicht? Ich habe sie hier begraben. Weißt du, was du gemacht hast, auf der Beerdigung? Dagestanden und geschwiegen. Von da an hast du ganze sechs Monate lang kein Wort gesagt. Die Ammerland wollte zum Arzt mit dir. Ach, lass ihn schweigen, hab ich gesagt, wenn’s ihm hilft. Und wenn es nicht hilft, hat sie gesagt, willst du zusehen, wie er langsam vor die Hunde geht? Und ich hab gesagt, die Hunde möcht ich sehen, hab ich gesagt. Was einen nicht umbringt, macht einen stark. Ich hatte recht. Der Mai kam, und du hast wieder geredet. In der Schule waren sie ja gewöhnt, dass du komisch warst. Sie haben es hingenommen, dass du eine Weile geschwiegen hast, denen war das egal.«
    »Es geht nicht um die Schule. Es geht um Iris. Verdammt, komm zum Punkt! Was ist mit Iris passiert?«
    »Sie ist ertrunken.«
    » Das weiß ich. Aber was ist genau passiert?«
    Siri hielt den Atem an und wurde sich bewusst, dass das lächerlich war, es war eine Floskel aus Romanen.
    »Himmel, du kannst einen nerven. Iris ist in dieses Auto gestiegen. Abends. Das Auto fuhr weg, aber sie hatten wohl irgendwelche Schwierigkeiten damit, das hat man später gehört, irgendwas war. Deshalb sind sie nicht bis nach Berlin gefahren, sondern nur bis ins nächste Seebad, die Mutter, Frau Ich-bin-was-Besseres, die hätte den Sommer ohnehin lieber da an der Promenade verbracht … Die Kleine muss sich nachts weggeschlichen haben, aus dem Hotel oder wo sie da gewohnt haben. Ist wohl per Anhalter zurückgefahren. Hat Glück gehabt – oder Pech –, viele Autos gab’s ja nicht damals, nicht hier. Das letzte Stück Weg muss sie wohl gelaufen sein. In der Nacht war die See unruhig, wir hatten ’ne Sturmwarnung, das weiß ich noch … ich hab die Sturmwarnung gehört, wir hatten keinen Fernseher damals, ich hab sie im Radio gehört. Ich hab dann noch mal nach dir gesehen, und du hast im Bett gelegen und geschlafen.«
    »Warte. Bist du sicher, dass ich da war? Im Bett?«
    »Na, deinen Pass hab ich nicht verlangt, nachts, ich hab nur aus Gewohnheit die Tür zu deinem Zimmer aufgemacht, hab geguckt, da lagst du, und also bin ich rüber in mein eigenes Bett. Ich hab ja jeden Abend nach dir geguckt … war ich so gewohnt, von als du ein Baby warst … und dann haben sie die Kleine am nächsten Morgen am Hafen unten gefunden, da war sie schon tot. Und das Ruderboot, das vorher am Steg gelegen hatte, war weg. Hat ihren Eltern gehört, das Boot, ihr seid den ganzen Sommer damit rumgepaddelt. Am Abend war’s wohl noch da gewesen, das Boot.«
    Eine Weile sagte keiner der beiden etwas.
    Siri beugte sich vor, sah um die Ecke der Mauer, vorsichtig. Winfried saß im Gras, die Krücken neben sich. Lenz hatte einen Arm auf einen Grabstein gestützt. Carla Berg , las Siri.
    Wer war Carla Berg?
    Sie sah Lenz’ Profil, er blickte die Grabplatten vor sich an, die an der Mauer lehnten: Jens und Lotte Fuhrmann. Wenn Frau Ammerland recht hatte, waren diese Steinplatten das Letzte, was von Lenz’ Eltern geblieben war. Sie sah Lenz’ Profil, und es war merkwürdig: Sein Gesicht war nicht mehr so … unschön. Nicht mehr so grob. Es war nicht schön, aber es war auch nicht mehr hässlich. Es war etwas, das man mögen konnte.
    Schließlich fragte Lenz, ganz leise: »Wer hat sie gefunden?«
    Siri zog sich hinter ihre Ecke zurück, in ihr Kinderversteck.
    »Gefunden? Der alte Kaminski, glaube ich, und Werter. Der Vater von dem Werter, der jetzt die Werkstatt hat. Sie waren unten zum Angeln, ganz früh schon, da hing sie im Schilf wie ein Vögelchen, das vom Himmel gestürzt ist. Ich weiß noch, so hat er’s gesagt, der Vater Werter: wie ein Vögelchen . Das Vögelchen hatte ein Hemd von dir an. Sonst nichts. Ich hab die ganze Aufregung erst mitgekriegt, wie ich den Müll rausgebracht hab an dem Morgen, damals hatten wir noch die Grube hinten im Garten, da konnte man noch alles vergraben, wo man wollte … das ganze Dorf war auf den Beinen, und also bin ich raus und zur Straße und hab geguckt, was los ist. Du lagst noch im Bett und hast geschlafen.«
    »Bist du sicher? Hast du morgens nach mir gesehen?«
    »Jeden Morgen und jeden Abend. Ich sag doch, alte Gewohnheit. Als ich zurückkam, standst du angezogen in der Küche und hast aus dem Fenster geguckt. Aber geredet hast du nicht. Da nicht und noch ein halbes Jahr lang nicht.«
    »Moment«, sagte Lenz. »Winfried … wann hast du mir

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