Friesengold (German Edition)
freundlich und half ihnen aus den Mänteln. Sophie von Reeten führte sie dann direkt ins Esszimmer, wo sie ein perfekt eingedeckter Tisch erwartete, Blumenarrangement inklusive. Selbst Monas Blick signalisierte Anerkennung. Auf Hochglanz poliertes Silber rahmte altehrwürdiges Porzellan ein, auf dem das goldene Monogramm H.v.R. zu lesen war.
»Setzt euch doch!« Sophie von Reeten blieb beim pluralen Du. »Einen Aperitif? Champagner?«
Greven und Mona nickten im Plural und setzten sich auf die von Annalinde angewiesen Stühle. Biedermeier.
»Ausgezeichnet, der passt auch am besten zu den Austern. Annalinde? Bist du so gut?«
Die Gastgeberein verstand ihr Handwerk. Während Annalinde die Champagnergläser reichte, betrat eine uniformierte Serviererin das Esszimmer, stellte sich bescheiden vor und verteilte die Austern. Belon-Austern, wie Greven anhand der runden Form der Schale feststellte. Sophie von Reeten hatte sich das Essen etwas kosten lassen.
»Frohe Weihnacht. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid!«
Alle vier Teilnehmer des Weihnachtsmenüs hoben ihre Gläser und prosteten sich zu. Mit Erleichterung registrierte Greven, dass sich Monas Emotionen wieder austariert hatten. Der freundliche Empfang zeigte Wirkung. Auch schienen sich Mutter und Tochter an diesem Tag grün zu sein. Vielleicht zeigte hier Weihnachten Wirkung. Die Austern waren die besten, die er je gegessen hatte.
»Sind gestern per Express gekommen«, erklärte Sophie von Reeten.
Der Abend schien also gerettet zu sein. Seine Stimmung hob sich von Auster zu Auster, seine Nerven schwangen in den Normalzustand zurück. Beim zweiten Gang, einer Fasanenconsommé, entspann sich sogar ein intensives Gespräch zwischen Mona und Sophie von Reeten über den aktuellen Kunstmarkt. Greven hatte Mühe, seinen Ohren und Augen zu trauen, denn die beiden Frauen teilten überraschend viele Ansichten und fällten schon bald einstimmige Urteile über namhafte Künstler und Galeristen. Beim anschließenden Salatgang war er erst einmal draußen, denn so namhaft die Verurteilten auch sein mochten, er hatte von den meisten noch nie zuvor etwas gehört. Ein Versuch, das Gespräch auf den fränkischen Bacchus und somit auf den Wein zu lenken, scheiterte kläglich. Die Gastgeberin kassierte zwar sein Lob, kehrte aber umgehend zur Kunst zurück. Wie er auf die böse Vorahnung gekommen war, am Tisch könne Totenstille herrschen, wusste er selbst nicht mehr. Schließlich gab ihm Annalinde eine Chance, denn sie fragte nach dem Erfolg des Nichtgeschenks.
»Ein Volltreffer. Sie haben auf Anhieb Monas Geschmack getroffen, auch wenn sie heute noch einen alten Duft eingesetzt hat.«
»Was haben Sie denn bekommen?«
»Ein Bild. Mein Lieblingsbild aus ihrer letzten Ausstellung. Es zeigt Minnie Schönberg aus Dornum. Die Mutter der Marx Brothers, falls Ihnen das etwas sagt.«
Annalinde hob kurz ihre Schulter.
»Eine legendäre amerikanische Komikertruppe der 30er und 40er Jahre mit Wurzeln in Ostfriesland.«
»Okay. Wie groß ist das Bild?«
»So einen mal eineinhalb Meter, schätze ich.«
»Haben Sie schon einen Platz für das Bild?«
»Ja. Es hängt bereits im Wohnzimmer. Wir haben es einfach gegen ein anderes Bild von Mona ausgetauscht. So etwas machen wir ab und zu.«
»Gute Idee. Wir sollten unseren Warhol auch mal austauschen.«
Behutsam versuchte Greven nun das Thema zu wechseln und auf das äußere Erscheinungsbild des Teenagers überzuleiten. Er wollte mehr über ihre Lebensphilosophie erfahren, die sich hinter der Maskerade verbarg. Aber schon der erste Versuch scheiterte.
»Meine Entscheidung!«
Weiter kam er nicht und leitete schnell zur Familie über, zu den von und zu Aldenhausen. Die von Reetens ließ er erst einmal unbehelligt. Mit diesem Thema hatte er mehr Erfolg. Bereitwillig erklärte ihm Annalinde das Familiengeflecht und berichtete über Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen. Zentrum der weitläufigen Familie mit verwandtschaftlichen Beziehungen bis nach Dänemark und England war das in der Nähe gelegene Schloss Aldenhausen. Dort fanden sich Annalinde und Sophie von Reeten jedoch nur äußerst selten ein, etwa zu runden Geburtstagen oder Trauerfeiern.
»Frau Mutter mag diesen Teil der Familie nicht sonderlich. Sind sehr spießig. Fahren Mercedes und Audi. Laufen nie ohne Halsgepäck rum.«
»Halsgepäck?«
»Na, Krawatte.«
»Verstehe.«
»Spießer eben. Und Pferde. Jede Menge Pferde. Die ganzen Stallungen sind voll von den Viechern. Und
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