Friesengold (German Edition)
hatte wieder leichter Schneefall eingesetzt. Dafür war es nicht mehr so kalt wie noch vor Tagen. Greven bezweifelte sogar, dass noch immer Minusgrade herrschten. Trotz der Flocken in der Luft glaubte er nicht an eine weiße Weihnacht.
»Kannst du eigentlich noch fahren? Ich merke nämlich den Prosecco.«
»Nach einem Glas kann man immer fahren«, sagte Greven.
»Nach eineinhalb Gläsern.«
»Trotzdem.«
»Dann fahr doch bitte bei der Villa vorbei. Aus reiner Neugier.«
Greven wählte also die Route durch die Laurinstraße, in die sie schon nach wenigen Minuten einbogen. Trotz der Dunkelheit war die Villa schon von Weitem zu erkennen, denn in fast allen Räumen brannte Licht. Als sie näher kamen, bemerkten sie mehrere Autos, die in der Auffahrt parkten. Schatten bewegten sich hinter den Gardinen der hohen Fenster.
»Wieder ein Geheimnis«, unkte Mona. »Da sterben drei Menschen, und die feiern eine Party.«
»Vielleicht hat jemand Geburtstag?«
»Schade, und du bist nicht eingeladen. Fahr bitte rechts.«
Greven bog ab, so dass sie auch einen Blick auf die Rückfront werfen konnten, hinter der weitere Autos parkten. Große und teure Autos. Er fuhr langsamer und kurbelte das Fenster herunter. Die Schlussakkorde von Stairway to Heaven waren zu hören.
»Wie passend«, kommentierte Mona, während der Wagen die letzten Häuser der Straße passierte und in die Dunkelheit eintauchte. Bis zum Gulfhof waren es nur wenige Kilometer.
»Müssen wir den Wagen heute noch zurückbringen?«
»Morgen früh reicht«, sagte Mona. »Aber ausladen sollten wir gleich noch.«
Eine halbe Stunde später hatten sie die letzte Kiste ins Lager hinter dem Atelier geschleppt und spürten den Tag in ihren Knochen. Dass sein Knie mittlerweile einen Dauerschmerz kultiviert hatte, gab Greven noch immer nicht preis. Er hoffte einfach auf eine Art Selbstheilung, auf ein Verschwinden des Schmerzes während der Weihnachtstage. Geschafft plumpste er auf die Wohnzimmercouch und schnappte nach Luft. Seine Kondition ließ mal wieder zu wünschen übrig. Mona war ins Bad entschwunden. Nach ein paar Minuten schwang er sich wieder auf und ging in die Küche, wo ein dekantierter Wein stand. Mit zwei gefüllten Gläsern in der Hand kehrte er zurück, um aus dem Stapel der neuen CDs etwas Ruhiges auszusuchen. Als Mona mit nassen Haaren und eingepackt in ihren Bademantel bei ihm eintraf, wirkte sie nicht entspannt, wie nach einer Dusche bei ihr üblich, sondern sah ihn ernst und konzentriert an.
»Sag mal, du suchst doch ein Motiv. Ich meine, etwas wirklich Wertvolles?«
Greven reichte ihr das Glas und nickte.
»Mir ist da vielleicht etwas eingefallen«, antwortete Mona und nahm einen kräftigen Schluck. »Aber lach jetzt bitte nicht. Das Friesengold.«
»Das Friesengold?«
»Das hab ich mir gedacht. Aber mir ist es ja auch nicht eher eingefallen. Ich vermute, weil es so offen vor unseren Augen liegt.«
Aus den tieferen Sedimenten seiner Erinnerungen tauchten langsam längst vergessen geglaubte Bilder auf. Die Hand seiner Mutter, die ihn führte. Ein riesiger Park, den er durchwandern musste. Ein Schloss. Hohe, knarrende Türen. Bilder von langhaarigen Männern in Harnischen. Ritterrüstungen. Gold hinter Glas.
»Der Goldschatz von Schloss Aldenhausen.«
»Genau den meine ich«, sagte Mona.
»Dass ich daran nicht gedacht habe! Dabei sind meine Eltern mit mir ein paarmal nach Schloss Aldenhausen gefahren. Bei dieser Gelegenheit haben wir auch den Schatz angesehen. Der müsste doch noch da sein? Oder haben die den irgendwann in ein anderes Museum gebracht?«
»Davon hätte ich gehört. Bestimmt. Aber lass uns mal nachsehen«, sagte Mona und verließ das Wohnzimmer, um gleich darauf mit ihrem Laptop zurückzukehren. Wenn sie auch keinen Fernseher besaßen, zumindest Mona konnte auf einen Rechner nicht verzichten. Sie fuhr ihn hoch, bearbeitete im Zweifingersystem die Tastatur und stieß nach wenigen Klicks auf Gold.
»Es ist immer noch auf Schloss Aldenhausen. Vor zehn Jahren war es einmal nach Oldenburg für die große Friesenausstellung ausgeliehen. Aber es ist tatsächlich noch immer da.«
»Der Raub einer derartigen Kostbarkeit wäre uns wohl kaum entgangen«, bemerkte Greven und besah sich die Bilder von Münzen, Broschen und Fibeln.
»Was denkst du?«
»Das wäre natürlich ein Motiv. Abgesehen von der Tatsache, dass sich dieser sagenhafte Schatz hinter Panzerglas und von Alarmanlagen gesichert in einem Museum befindet«, meinte
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