Friesengold (German Edition)
die reiten die auch noch. Alles im vornehmen Reiterdress natürlich«, sagte Annalinde und lachte dabei spöttisch.
»Wer lebt dort noch außer Ihrem Onkel Folef?«
»Meine Tante Talea samt Lover und mein Onkel Abbo samt Familie.«
»Und Ihre Tante Thalke?«
»Die hat auch auf dem Schloss gewohnt. Jedenfalls hat sie im Westflügel eine Wohnung gehabt. Die hat sie nie aufgegeben, auch wenn sie gerade einen Lover hatte.«
»Was ist mit Ihren Großeltern mütterlicherseits?«
»Nur meine Oma lebt noch. In einem Pflegeheim. Seit ihrem Schlaganfall geht’s ihr beschissen.«
Greven versuchte, dem Gespräch noch eine neue Richtung zu geben. »Kennen Sie eigentlich das Museum im Schloss?«
»Das berühmte Friesengold? Na klar. Wer kennt das nicht?«
Greven nickte zustimmend, als habe er das Gold erst letzte Woche in Augenschein genommen.
»Ich war ein paarmal da, als ich kleiner war«, erklärte der Teenager. »Im Sommer kommen massig Touris, um das Zeug anzugaffen. Steh’n alle total auf Gold.«
»Sie tragen auch eine goldene Kette.«
»Das ist etwas ganz anderes. Sie ist nur ein Symbol für das Weltliche, das uns immer weiter in den Abgrund reißt.«
»Was reißt uns in den Abgrund?«, grätschte Mona unvermittelt in das Gespräch.
»Das Gold«, antwortete Annalinde von Reeten. »Und mit ihm alles Weltliche.«
»Wo sie recht hat, hat sie recht«, sagte Mona, die notgedrungen der Kunstszene den Rücken gekehrt hatte, da die Gräfin aufgestanden war, um sich um den Hauptgang zu kümmern. Perlhuhnbrüste und Risotto alla milanese.
»Wir müssen uns nun einmal damit abfinden, dass der Untergang nicht aufzuhalten ist. Wenn du mich fragst, können wir es drehen und wenden, wie wir wollen, es liegt an der Evolution und der Spezies Mensch. In der Steppe Afrikas sind vor Millionen von Jahren die Würfel zugunsten unseres Erfolgs gefallen. Schon damals lautete die Devise: Macht euch die Erde untertan! Was so viel bedeutet wie: Plündert den Planeten und macht alles platt. Und das haben wir auch gemacht. Die Erde und den Menschen selbst. Die Ziele haben sich seitdem nicht gewandelt. Häuptling werden, Macht über andere haben, Reichtümer aufhäufen. Alles andere ist bloße Makulatur. Die Evolution hat uns dazu verdonnert, das erfolgreichste, raffgierigste und tödlichste Wesen zu werden, das die Erde je gesehen hat.«
»Mona, bitte!«, unterbrach sie Greven.
»Lassen Sie sie doch!«, verteidigte sie Annalinde. »Ich finde, sie liegt völlig richtig. Dieser ewige Kampf um Macht und Geld.«
Damit hatte sich ein neues Thema etabliert, dem Greven die Teilnahme jedoch verweigerte. Zum einen war ihm im Moment das Perlhuhn wichtiger, in dessen Genuss er selten kam. Auch glaubte er nicht, die Welt durch einen demonstrativen Verzicht auf den Hauptgang entscheidend ändern zu können. Nicht, dass er noch nie an die eine oder andere kleine Verbesserung der Welt gedacht hätte. Im Gegenteil, seit dem Erwachen seines Bewusstseins in der Pubertät hatte er sich um die berühmten Speichen des Zeitrades bemüht, im Kleinen wie im Großen. Eigentlich hatte er das Verändern der Welt sogar zu seinem Beruf gemacht. Er hatte kriminelle Manager und Waffenschieber gejagt, hatte sich mit Drogenbaronen und korrupten Politikern angelegt. Und seit dem Anschlag auf sein Knie waren es eben Mörder in der Provinz.
Zum anderen hatte er diesem Thema schon sehr viel Zeit gewidmet, ohne auf wirklich befriedigende Antworten gestoßen zu sein, die nicht irgendeinen faden Beigeschmack besaßen, oder die einfach nicht durchsetzbar waren. Und ganz falsch war Monas These bestimmt auch nicht. Vielleicht war der Mensch tatsächlich nicht zu bekehren, weil er mit einem Genpool behaftet war, der ihn auf den Abgrund zutrieb. Der Unterschied zu vergangenen Epochen bestand lediglich darin, dass er die Methoden verbessert und verfeinert hatte und sich immer mehr Menschen an der Treibjagd beteiligten. Sieben Milliarden. Wenn das keine furchterregende Meute war, die sich fortwährend selbst ankläffte, aufgestachelt, verführt und betört von unzähligen Alphamännchen und Beutesüchtigen.
»So, hier kommen die Perlhühner!« Mit zwei Tellern in der Hand meldete sich die Gastgeberin auf der Bühne zurück. Die Serviererin trug die anderen beiden Teller.
»Guten Appetit!«
Kaum hatte sich Sophie von Reeten gesetzt und das neue Thema aufgeschnappt, stieg sie in die Zivilisationskritik ein und half umgehend mit, Wohlstand und Armut neu zu definieren, das
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