Friesengold (German Edition)
sich Greven nämlich sicher. Onken hatte die Frage oder die Fragen, die ihm ohne jede Rücksicht gestellt worden waren, nicht beantworten können. Schon nach wenigen Schlägen hätte der alte Mann jedes Passwort und jeden PIN-Code preisgegeben. Aber er hatte nichts gewusst. Er hatte um Nachsicht, um Gnade gefleht, um sein Leben. Er hatte alles geboten, sein Gold, sein Geld, seine Uhren. Aber es hatte ihm nichts genützt, denn das alles hatte seinen Mörder nicht interessiert. Im Gegenteil, hätte er Onken am Leben gelassen, stünde er bereits auf der Fahnungsliste.
Greven änderte die Richtung. Plötzlich wollte der Schnee unter seine Hutkrempe. Er drehte den Kopf leicht zur Seite, um besser sehen zu können. Dafür kroch der Wind jetzt in seinen Mantel. Aber die Inspektion war nicht mehr weit. Sein warmes Büro war nicht mehr weit.
Onken hatte auch nicht geahnt, was auf ihn zukommen würde, sonst hätte er seinem Mörder nicht so bereitwillig die Tür geöffnet. Seinen Mörder hatte er also gekannt, nicht jedoch dessen Absicht. Ebenso wenig, wie er die Antworten auf dessen Fragen gekannt hat. Eigentlich ein Unwissender, ein Ahnungsloser, dachte Greven. Womöglich hatte der Mörder einem Falschen seine Fragen gestellt. Wenn dies der Fall gewesen war, würde er bald einen anderen mit seinen Fragen konfrontieren.
3
»Onken? Reinold Onken?«
»Ja«, antwortete Greven. »Kanntest du ihn?«
»Nicht näher. Er war ein paarmal bei Ausstellungen dabei«, antwortete Mona. »In Dornum, glaube ich, und in Greetsiel. Aber wer macht denn so etwas? Lässt einen Menschen einfach so erfrieren?«
»Ebenfalls ein Mensch, Mona. Ein gewöhnlicher Mensch. Homo sapiens. Einer von sieben Milliarden. Nichts Besonderes also. Wenn du das nicht weißt?! Deine Bilder zeigen doch genau diese Menschen.«
»So war das nicht gemeint!«, wehrte sich Mona und stellte einen langstieligen Pinsel zurück in ein großes Glas, in dem bereits viele andere Pinsel mit dem Haar noch oben standen. »Das weißt du genau!«
»Sorry. Okay? Was weißt du über ihn? War er ein guter Goldschmied?«
»Ein guter Goldschmied? Einer der besten! Ein Künstler. Keiner, der im Großhandel einkauft. Einer, der noch alles selber macht. Bei ihm gibt es nur Unikate.«
»Aber bis zu einem schicken Laden in der Burgstraße hat er es trotzdem nicht geschafft.«
»Weil seine Entwürfe viel zu skurril, viel zu eigenwillig sind. Auswahl hat er natürlich auch nie gehabt. Die verwelkten Blätter sind übrigens von ihm.«
»Welche … verwelkten Blätter?«, fragte Greven und kramte im Kopf in Monas Schmuck.
»Die Ohrringe. Die wie verwelkte Blätter aussehen. Die ich mir vor ein paar Jahren zu Weihnachten geschenkt habe.«
»Ach, die …«, raunte Greven, »… die du nie trägst, weil sie dir doch nicht gefallen.«
»Weil ich sie jetzt kalt finde, zu kalt für mich. Aber handwerklich sind sie sensationell.«
»Fällt dir noch etwas ein?«
Mona löste sich von ihrem Bild, das auf einer großen Staffelei in ihrem Atelier stand. Greven konnte die seitliche Rückansicht eines Kopfes erkennen. Ein verlorenes Profil, hatte ihm Mona erklärt. Portraits dieser Art wurden selten gemalt. Für seine Lebensgefährtin war dies jedoch ein wesentlicher Grund gewesen, mit einer Bilderfolge zu beginnen, die berühmte Ostfriesen bewusst aus dieser Perspektive zeigte.
»Er war ein Eigenbrötler, hat kaum etwas gesagt und war, soweit ich weiß, kein guter Geschäftsmann. Irgendjemand hat mal erzählt, dass er einen Ring nicht verkaufen wollte, weil er der Ansicht war, er würde nicht zu der Kundin passen.«
»So macht man gute Geschäfte. Dir aber hat er die welken Blätter verkauft, also müssten sie doch eigentlich zu dir passen.«
»Da muss er sich wohl geirrt haben«, sagte Mona spitz. »Auf den ersten Blick fand ich die Blätter schon toll. Aber man sieht sich schnell satt. Sie sind kalt, sie haben keine Aura, sie bergen kein Geheimnis.«
»Onken aber hatte eines, und ein großes und tödliches noch dazu. Wir wissen nur nicht, welches. Weißt du etwas über seinen Finanzen?«
»Ich hab nur mal auf einer Ausstellung gehört, dass er gerade so über die Runden kommen soll. Viel war bei dem bestimmt nicht zu holen.«
»Und das bisschen hat der Mörder auch noch liegenlassen. Er hat es nicht für nötig befunden, die Vitrinen auszuräumen. Er ist einfach weg. Und ich wette, dass er dabei den Bauch voller Wut hatte. Denn hätte er gefunden, was er gesucht hat, hätte er
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