Friesenherz
machen!«, sagte sie aufmunternd.
»Ach nein«, sagte ich hastig, »ich fahr viel Fahrrad, das reicht mir an Körperarbeit.«
Bärbel sah mich milde belustigt an. »Das ist Fortbewegung«, sagte sie, »aber hat in der Regel keine spirituelle Komponente. Außer, dass jede Fortbewegung auch mit fokussierter Lebensenergie zu tun hat.«
»Was hast du da eigentlich für einen Stein?«, fragte ich und deutete auf den lila Faustkeil in ihrer Hand.
»Ach, mein Kristall.« Bärbel strich liebevoll über die raue Ober fläche. »Den habe ich von meiner Lehrerin in San Francisco be kommen. Mit dieser Massage kann ich Blockaden in meinem dritten Chakra lösen, das neigt zu Verstopfung.« Sie tätschelte sich liebevoll den wabbeligen Bauch, als streichelte sie einen jungen Hund, der noch nicht ganz stubenrein war.
»Und woran merkt man das, wenn so ein Chakra verstopft ist?«, fragte ich, während ich mich im Schneidersitz auf der Matte neben ihr niederließ.
»Dann kann das Prana, die Lebensenergie, nicht mehr frei fließen«, dozierte Bärbel. »Das äußert sich in verschiedenen körperlichen Beschwerden. Ich habe stark den Eindruck, bei dir hat das Wurzelchakra …«
Ich würde wohl nie erfahren, was mein Wurzelchakra war und warum es nicht ordnungsgemäß arbeitete, denn wieder öffnete sich die Tür, und Dr. Sidhoo betrat den Raum, im Schlepptau Geli Schatz, die sich suchend umblickte. Dr. Sidhoo griff nach einem der Kissen, die neben der Tür aufgestapelt waren, ließ sich dann mit erstaunlicher Anmut darauf nieder, fast ohne sich dabei auf dem Boden abzustützen, und ruckelte ihren runden Po zurecht, bis sie wieder ihre kerzengerade, königliche Haltung eingenommen hatte.
»Entschuldigen Sie, äh, ich meine, du … könnte ich mir vielleicht einen Stuhl nehmen?«, fragte Geli und setzte eine riesige Plastiktüte neben der Tür ab.
»Hast du denn körperliche Beschwerden?«, fragte Dr. Sidhoo sanft. »In unserem Gespräch hast du davon nichts erwähnt.«
»Nein, es ist nur … so ungewohnt.«
»Nimm dir ein Meditationskissen und schieb es dir unter deine Sitzhöcker«, sagte die Ayurveda-Ärztin mit sanftem Nachdruck. Geli blieb unglücklich und unentschlossen neben einer freien Matte stehen.
»Wenn wir etwas Ungewohntes im Leben erfahren, macht es uns Angst. Das ist ganz natürlich.« Dr. Sidhoo blinzelte ein we nig. Jetzt erst fiel mir eine Veränderung an ihr auf: Sie trug ihre unvorteilhafte Hornbrille nicht und klimperte stattdessen mit kuh langen, dunklen Wimpern.
»Aber ich bin Kapha«, jammerte Geli, »ich brauche meine Bequemlichkeit.«
Dr. Sidhoo kannte keine Gnade. Sanft im Ton, aber hart in der Sache. »Vielleicht kannst du keinen Hunger ertragen, aber auf dem Boden sitzen, das kannst du.«
»Da kommt jetzt aber eins zum anderen«, gab Geli störrisch zurück, »hungrig bin ich nämlich auch.«
Das konnte ich mir gut vorstellen. Zwei Tage mit ayurvedischem Frühstücksbrei und Mungbohnensuppe hinterließen ihre Spuren. Hätte ich nicht meine Diät unauffällig mit Friesentorte unterstützt, ich hätte mich ebenfalls in den dauergierigen Kapha- Typen verwandelt. Was passierte eigentlich, wenn die Insel noch länger von der Außenwelt abgeschnitten war? Würde man dann unsere Bohnenplörre rationieren? Oder würden sie irgendwann anfangen, Carepakete aus Rettungshubschraubern abzuwerfen? Im glei chen Moment kam mir noch ein weiterer Gedanke, und ich klopfte mir innerlich auf die Schulter. Dass ich daran nicht gleich gedacht hatte! Wenn am Nachmittag noch immer nichts ging am Hafen, gab es ja noch eine weitere Möglichkeit, von hier wegzukommen. Ich spürte, wie sich tief in mir die Ganesh-Energie sammelte. Das war doch mal eine hilfreiche Vorstellung. Danke, Bärbel.
Dr. Sidhoo reagierte auf Gelis Beschwerden nur mit einem un ergründlichen Lächeln, und so ließ diese sich schließlich doch schwerfällig nieder. Die indische Ärztin schloss nun ebenso die Augen, wie Bärbel es getan hatte, und summte etwas Unverständliches. Dann rieb sie sich sanft über die Lider, blickte uns an wie ein weises Waldreh und nickte.
»Wir sind heute zusammengekommen, um über das Glück zu sprechen. Das Glück, und was es für uns bedeutet. Nicht, wie wir es erlangen können. Das ist ein typisch westlicher Denkfehler, vor dem ich euch warnen möchte. Denn das ayurvedische Prinzip lautet: Es ist alles schon da, in dir. Du musst es nur nutzen.«
»Wollen wir denn nicht noch warten?«, fragte ich.
»Auf was?«,
Weitere Kostenlose Bücher