Friesenherz
Probehören anschleppte wie ich selbst. Oder mit sechzehn auch noch zum Reiten ging, während alle anderen von Tom Cruise träumten.
Eine beste Freundin, das war ein Anker in der Welt gewesen, ein Ruhekissen, ein Spiegel, der immer genau das Bild von einem selbst zeigte, das man gerade brauchte. Mit einer besten Freundin konnte man den eigenen Kleiderschrank verdoppeln, weil man für den Samstagabend die Pullover tauschte, und in den Liebeskriegen der eigenen Frühzeit hatte sie immer auf der richtigen Seite gestanden. Meine besten Freundinnen hatten mich vor bösartigen Nachbarsmädchen gerettet, die mich mit ihren Holzclogs vertrimmen wollten. Sie hatten für mich auf Partys spioniert, welchen Pullover mein aktueller Schwarm trug, damit ich ihn auch aus der Ferne identifizieren konnte, wenn ich aus Eitelkeit wieder mal ohne Brille aus dem Haus gegangen war. Gummitwist, Wimperntusche, heimlich die nicht jugendfreien Romane aus Muttis Nachttischschublade lesen, während die andere Schmiere steht. Hätte man mich mit sieben gefragt oder mit siebzehn, ich hätte mir ein Leben ohne beste Freundin nicht einmal vorstellen mögen. Wo auf dem Weg war dieses Konzept verschwunden?
Ich konnte mich nicht einmal mehr genau erinnern, wer meine letzte beste Freundin gewesen war. In meiner Studienzeit hatte es mal die eine, mal die andere gegeben, die häufiger anrief oder am Samstagmittag mit einer Brötchentüte vor der Tür stand. Aus der einen besten Freundin waren mehrere gute Freundinnen und Bekannte geworden, und seit Ronjas Geburt hatte sich daran nichts geändert.
Ja, ich hatte Freundinnen, eine ganze Reihe, die alle den glei chen komfortablen Sicherheitsabstand einhielten. Kolleginnen, Nachbarinnen, alte Bekannte aus dem Geburtsvorbereitungskurs, ein Geben und Nehmen leicht verdaulicher Häppchen weiblicher Nähe, aber immer nur in genau abgezirkelten Bereichen. Mit der einen konnte ich über Praktisches reden, mit der anderen ins Theater gehen, die dritte verstand meine Probleme mit Lehrplänen und selbstgerechten Eltern, weil sie als Lehrerin in der gleichen Position war wie ich. Aber welche von ihnen würde ich anrufen, im Notfall? Nur so als Idee: Was, wenn Torge auf die Idee kommen sollte, mich zu verlassen? Bei welcher konnte ich nachts um drei Sturm klingeln, wenn ich in Not war, ohne nachzurechnen, um wie viele Stunden Nachtschlaf ich sie damit brachte? Umgekehrt: Welche würde es bei mir tun? Und wie lange war es her, dass ich mit einer anderen Frau ein Geheimnis gehabt hatte?
Ann und ich waren auf dem besten Wege, eines zu teilen.
»Jetzt gib’s doch mal zu«, sagte Ann eindringlich. »Du findest den doch richtig gut, den Jan.«
»Nee«, sagte ich, »das ist nicht das richtige Wort.«
»Und das wäre?«
Ich stopfte mir noch ein Stück Lachs in den Mund, dann leckte ich meine Fingerspitzen ab, eine nach der anderen. Schließlich sah ich sie an und sagte: »Geil.«
Am nächsten Morgen beim Frühstück trat Lisi Schleibinger an un seren Tisch. Hastig wechselten Ann und ich einen Blick. Hatte sie womöglich etwas erfahren von unserem nächtlichen Ausflug in die Küche? Aber Lisi strahlte uns derart herzlich an, dass mein Puls sich schnell wieder beruhigte. In der Hand schwenkte sie einen Hotelzimmerschlüssel mit Keramikleuchtturm.
»Einen wunderschönen guten Morgen zusammen«, flötete sie, »ich hätt da eine Überraschung.« Neckisch klimperte sie mit dem Leuchtturm.
»Na, wisst’s ihr, was ich mein?«
Ann und ich blickten uns verständnislos an. An diesem Morgen standen wir beide gemeinsam auf der gleichen langen Leitung. Es konnte damit zu tun haben, dass ich im Lauf des Abends noch drei weitere Bier getrunken und bis spät in die Nacht mit Ann darüber diskutiert hatte, wie man akzeptable von nicht akzeptablen Kindernamen unterschied. Auch wenn sie bei dem Thema irgendwann wieder sehr wortkarg geworden war. Aber ich würde sie schon überzeugen, da war ich sicher.
»Ein Einzelzimmer«, jubilierte Lisi Schleibinger, »ab jetzt hat jede von euch ihr eigenes Reich.«
Wieder blickten wir uns an, diesmal eher unschlüssig. Einen quälend langen Moment sagte keine etwas.
»Es sei denn, du magst immer noch abreisen. Dann könnt ich das Zimmer natürlich auch weitervermieten«, sagte Lisi mit einem schnippischen Unterton in meine Richtung. Hatte sich das also auch zu ihr herumgesprochen?
Es dauerte einen Moment, bis ich den Grund für ihre Ankün digung verstand. Jemand musste sein Zimmer geräumt
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