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Friesenherz

Friesenherz

Titel: Friesenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janna Hagedorn
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solche Sorgen um dich gemacht.«
    »Wir?«
    Schlagartig spürte ich, wie meine Wut wieder erwachte. So war das also. Jetzt gab es schon ein »Wir«, und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wen das umfasste. Mit Sicherheit nicht Eso-Bärbel und Katzen-Geli.
    Torge wurde jetzt mutiger, ging noch einen Schritt weiter und blieb auf Armlänge entfernt von mir stehen.
    »Na ja, wir wollten schon die Küstenwache anrufen. Aber dann hieß es, das könnten wir nur, wenn es einen begründeten Verdacht gäbe auf einen Unglücksfall.«
    »Ach.« Meine Stimme wurde noch um ein paar Grad frostiger. »Und das hier, das ist kein Unglücksfall? Du hast nicht zufällig das Gefühl, dich mitten in einer Massenkarambolage zu befinden? Oder, nein: Du hast nicht zufällig das Gefühl, dass du selbst einen ganz enormen Auffahrunfall verursacht hast?«
    »Du weißt, dass ich mit dir sprechen wollte«, sagte er leise. »Ich hab es dir ja schon gesagt, am Telefon. Ich dachte, es ist ein guter Moment, und ganz passend, wenn wir uns dabei nicht auf dem Sofa gegenübersitzen.«
    »Ach!« Ich merkte, wie schrill meine Stimme wurde. »So hast du dir das gedacht? Einfach deinen Seelenmüll vor meine Tür kippen, und ich entsorge den dann? Möglichst weit weg von dir, am besten im Nationalpark Wattenmeer?«
    Schwungvoll ging erneut die Tür zur Lobby auf, und eine völlig durchnässte Ann kam herein. »Ich hab was rausgefunden!«, rief sie. »Ich glaube, ich weiß, wo sie …«
    Weiter kam sie nicht, denn dann entdeckte sie mich und lief mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, als wollte sie ein verirrtes Kind zurück nach Hause holen. Was dachten die sich eigentlich? Benahmen sich, als seien sie meine Eltern und ich ihre ungezogene Tochter!
    »Wir dachten schon, dir wäre etwas passiert!«, rief Ann. Sie roch ein bisschen nach nassem Hund.
    »Was denkst du von mir? Dass ich ins Wasser gehe? Wie eine Romanheldin aus dem neunzehnten Jahrhundert?«
    »Ach, Maike«, seufzte sie. Dann wagte sie es tatsächlich, ihre Arme um mich zu schlingen. Frechheit.
    »Untersteh dich!«, zischte ich. »Und außerdem: Zieh sofort meine Hose aus!«
    Ann ließ ihre Arme sinken und blickte verdattert an sich herunter. Offensichtlich hatte sie völlig vergessen, dass sie sich schon wieder an meinem Kleiderschrank bedient hatte. Aber das war ja kaum verwunderlich. Was das Gefühl für Mein und Dein anging, hatte sie ja auch sonst ihre Defizite.
    Wie war Torge an jemanden wie sie geraten? Seit wann trieb er sich in irgendwelchen Underground-Galerien im Schanzenviertel herum? Sonst beschränkten sich seine abendlichen Ausflüge ohne mich doch auch auf Biertrinken im Volksdorfer Krug mit seinen alten Kumpels. Oder war das nur etwas, das er mir seit Jahren erzählte? War ich vielleicht genauso leicht zu betrügen wie er? Führte er am Ende ein Doppelleben?
    Ich musterte Torge, und auf einmal kam es mir vor, als hätte ich ihn noch nie gesehen. Wie auf einem dieser Vexierbilder, die je nach Blickwinkel eine alte oder junge Frau zeigten, eine Vase oder zwei Gesichter im Profil. Möglicherweise hatte ich seit beinahe zwanzig Jahren den falschen Blick auf ihn geworfen. Es mochte sein, dass ich ihn auf hundert Meter Entfernung daran erken nen konnte, wie er sich die Schuhe schnürte. Aber möglicherweise hatte ich vor lauter Nebensächlichkeiten ein paar entscheidende Hauptsachen übersehen.
    Im nächsten Moment hörte ich Schritte im Büro hinter dem Tresen, und auf einmal tauchte Lisi Schleibinger dahinter auf. Heute trug sie kein Dirndl, sondern eine Art weißen Schlafanzug mit einem goldenen »Om«-Symbol darauf, noch weiter geschnitten als das Teil, das Ose zur Massage trug. Das Dirndl hatte ihr eindeutig besser gestanden.
    Sie blickte zwischen Torge, Ann und mir hin und her.
    »Kinder!« Sie strahlte uns an. »Habts ihr Besuch bekommen?«
    »Johannsen.« Steif streckte Torge eine Hand in ihre Richtung aus. »Ich bin der … Also, ich bin der Mann. Von Frau Johannsen.«
    Ich fragte mich, was sein Zögern zu bedeuten hatte. Schämte er sich? Fand er es selbst unwürdig, sich so zu bezeichnen, nachdem er mich so hintergangen hatte? Oder hatte er am Ende schon den ersten Entwurf für die Scheidungspapiere zu Hause?
    Torge war mir nie so fremd gewesen. Nicht einmal an jenem Abend im Physikalischen Institut vor vielen, vielen Jahren, auf der Party, auf der ich vergeblich Ausschau gehalten hatte nach dem hüb schen Jungen mit der unanständigen Unterlippe. Stattdessen hatte sich

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