Friesenherz
dann brach jetzt auch das zusammen. Nicht mit einem enormen Rums, eher mit einem trockenen, leisen »Klock«.
Ich hätte es mir denken müssen. Vielleicht war Ann mit Jan im Dampfbad gewesen, aber über mich geredet hatten sie dort sicher nicht. Oder wenn, dann war es Ann, die angefangen hatte. Ann, die ihm eingeredet hatte, dass ich eine aufregende Frau war. Jan, der eine Affäre mit mir anfing – das wäre das Beste, was ihr passieren konnte. Ihr und ihrem schlechten Gewissen.
Noch einmal machte ich mich los und riss die Tür auf. Davor stand der schwule Sanitäter aus dem Krankenhaus, auf dem Kopf einen Wikingerhelm aus Plastik, der ihm mindestens zwei Nummern zu klein war. In der einen Hand hielt er den Griff einer Bierkiste. Auf der anderen Seite der Bierkiste stand Frauke aus dem Café. Sie trug ein Plastikdiadem mit rot funkelnden Perlen und die gleiche Outdoorjacke wie ich.
Der Sanitäter musterte mich und Jan amüsiert.
»Je später der Abend …«, säuselte er.
Frauke starrte mich an, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Jan starrte auf Frauke.
Er kratzte sich am Kopf, und etwas Sand rieselte auf seine Schulter. Er deutete auf mich, dann auf seinen Kumpel, dann wie der auf mich. »Also, das ist der Jörg«, begann er, »den kenn ich noch von den Jugendsanitätern, und wir haben manchmal gemeinsame Einsätze.«
Jörg, Frauke und ich blickten ihn an, alle drei ähnlich gespannt, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Jan betrachtete hochkonzentriert die Sandkrümel an seinen Fingerkuppen, dann deu tete er zögernd auf mich. »Ja, also, und das ist die Frau Johannsen«, stammelte er.
Wir starrten weiter.
»Sie wollte nur mal …«, begann Jan mit zunehmender Ver zweiflung und warf mir einen Seitenblick zu.
Der glaubte wirklich allen Ernstes, dass ich ihm auch noch aus der Patsche helfen würde vor seinem Freund und seiner Ex- oder Noch- oder Künftig-wieder-Freundin. Was er wohl erben würde, wenn er sie heiratete? Café oder Strandkorbverleih oder beides?
Ich atmete tief durch. Die Luft roch nach Regen, nach schwe ren Tropfen, die vom Westwind vorangetrieben wurden. Dann sah ich Jan an.
»Ich wollte mich nur mal so richtig durchvögeln lassen«, sagte ich dann vollkommen ruhig.
Sanitäter-Jörg stand der Mund offen. Das war gar nicht so unpraktisch, denn er fand als Erster seine Sprache wieder.
»Alter«, sagte er zu Jan, »die ist ja krass drauf.«
Jan sah mich mit einem merkwürdigen Blick an, als wäre er sich nicht ganz sicher, ob er mir eine Ohrfeige verpassen sollte oder mich immer noch flachlegen wollte. Dann sah es aus, als wollte er etwas sagen, und plötzlich wusste ich, dass ich das um jeden Preis verhindern musste. Egal, was es war.
Wenn hier einer das letzte Wort behielt, dann ja wohl ich.
So würdevoll wie möglich wandte ich mich ab und warf ihm im Gehen einen kühlen Blick über die Schulter zu.
»Geh spielen«, sagte ich.
24
Mittlerweile war es dunkel geworden. Der Regen schlug aufs glän zende Kopfsteinpflaster. Vom Deich her hörte ich ein einsames Schaf blöken. Als ich ein paar Schritte gegangen war, überholten mich mehrere Fahrräder. Darauf saßen ältere Frauen in bunten Regencapes mit Reflektoren. Das Wasser spritzte auf, als sie nacheinander durch eine Pfütze fuhren, und sie lachten laut, kreischten beinahe, wie Kinder.
Ich hätte gern gewusst, was es da so zu lachen gab. Die konnten sich ja wohl mal beherrschen. In ihrem Alter.
Ins Hotel konnte ich jetzt unmöglich zurück. Jedenfalls nicht, solange Ann dort auf mich wartete, mit diesem Wesen im Bauch, Ronjas Halbgeschwisterchen. Es schüttelte mich, als ich dieses Wort dachte.
Ich wanderte ziellos durch die Gegend. Durch die triste Fußgängerzone, vorbei am einsam blinkenden Glücksrad auf der Werbetafel eines Spielsalons, an den Auslagen eines Fischgeschäftes, wo nur zwei Plastikaale in Plastikpetersilie lagen, schließlich die Treppe hoch zum Deich. Der Leuchtturm von Süderhörn warf seine regelmäßigen Lichtkegel über das Watt. Draußen waren Vögel unterwegs und pickten. Ich hätte gern mit ihnen getauscht. So ein Regenpfeifer, so eine Seeschwalbe und so ein Austernfischer mussten sich keine Sorgen darüber machen, ob sie etwas im Leben verpassten, wie es weiterging, mit welchem Männchen sie künftig ihre Eier legen wollten und wie viele. Für die gab es nur zwei einfache Regeln. Bei Ebbe: loslaufen und Futter fassen, egal, ob im Hellen oder im Dunklen. Bei Flut: Schnabel halten. Aus
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