Friesenrache
aufgehängt. Außerdem war sie an diesem Ort sicher vor irgendwelchen Störungen gewesen. Allein mit sich und ihrer Entscheidung, ein kurzes Zögern und dann …
»Ich glaube nicht, dass wir hier etwas finden. Die Polizei hat sicherlich alles genauestens durchsucht«, stellte Haie mit einem flüchtigen Blick auf die verstaubten Kisten und Kartons fest. Die anfängliche Euphorie, in dem Haus des ermordeten Schulkollegen auf unentdeckte Hinweise und Spuren, die sie zum Mörder führen könnten, zu stoßen, war beim Anblick des Dachbalkens und der schattenhaften Urinstelle buchstäblich verflogen. Zu deutlich hatte er den Hauch des Todes im Nacken gespürt, das beklemmende Gefühl, die grausame Vorstellung nahmen ihm beinahe den Atem. Er brauchte dringend frische Luft.
»Lass uns gehen«, presste er mit belegter Stimme hervor, und Tom nickte. Auch ihm war nicht wohl an diesem Ort, und er folgte nur zu gern der Aufforderung des Freundes, diesen düsteren Dachboden zu verlassen. Er machte einen Schritt zur Seite, um den anderen vorgehen zu lassen, und trat dabei unvermutet auf eine der altersschwachen Dielen, die sich über die Jahre hinweg gelöst hatte. Urplötzlich sauste das massive Holzbrett auf ihn zu, traf ihn mit dem frei schwebenden Ende am Kopf und ließ ihn zu Boden gehen.
Eine unergründliche Dunkelheit umgab ihn. Als er kurze Zeit später langsam wieder zu sich kam, spürte er ein starkes Pochen an seiner Stirn und rieb sich stöhnend mit der Hand über die Wunde.
»Nu komm schon!«
Haies Arm war bis zur Schulter in einem Spalt, der sich durch die emporgeschnellte Leiste aufgetan hatte, verschwunden. Mühsam und unter heftigem Gezeter angelte er in der klaffenden Lücke des Fußbodens nach etwas, das Toms noch leicht getrübten Blicken verwehrt blieb. Entrüstet richtete er sich auf.
»Was machst du da?«, fragte er mit anklagender Stimme. »Ich krepiere hier beinahe, und du wühlst da im Dreck herum.«
Ihm war immer noch schwindlig.
Doch Haie ließ sich von den Vorwürfen des Freundes nicht stören. Er reckte und streckte seinen Arm, bis er endlich das zwischen seinen Fingern spürte, was das schadhafte Bodenbrett zutage befördert hatte.
»Na endlich.« Langsam zog er seinen Arm hervor und präsentierte triumphierend eine bunt bedruckte, schmale Holzkiste.
»Was ist das denn?« Tom robbte langsam näher.
Der messingfarbene Verschluss des kleinen Kästchens ließ sich problemlos öffnen. Haie brauchte ihn lediglich mit dem Finger anzuschnippen, schon sprang der kleine Behälter auf.
Im Inneren befand sich neben einem Bündel alter Briefe lediglich ein silberner Ring.
»Von Tati für Sosi«, las Haie die eingravierte Inschrift laut vor. Er drehte das Schmuckstück zwischen seinen Fingern hin und her.
»Wer ist Tati?« Tom hatte sich zu dem Freund vorgearbeitet und blickte nun ebenfalls rätselnd auf den glänzenden Reif.
»Keine Ahnung«, antwortete Haie und ließ den Ring zurück in die Schachtel gleiten. Sosi stand als Kosename für Sophie, das stand für ihn außer Frage, aber einen Bezug zu Tati konnte auch er nicht herstellen. Besonders viel Ähnlichkeit zu dem Namen ihres Ehemanns bestand jedenfalls nicht. Vielleicht handelte es sich um einen Verehrer oder alten Jugendfreund von Sophie Carstensen? Dieser Grund würde zumindest ansatzweise erklären, warum sie den Ring zusammen mit einem Stapel Liebesbriefe hier oben auf dem Dachboden versteckt hatte. Dass es sich bei den gebündelten Schriftstücken um alte Liebesbezeugungen handelte, hatte er bereits den ersten Zeilen des obersten Briefes entnommen, in dem Tati Sosi sein Herz schenkte.
»Lass uns die Kiste mitnehmen und Marlene zeigen«, schlug Tom vor. »Sie hat für so etwas eher ein Händchen.«
Haie nickte zustimmend, klappte den Deckel der kleinen Holzkiste zu und klemmte sich das Fundstück unter den Arm. Er ließ dem Freund diesmal den Vortritt, der sich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, um nicht noch einmal Opfer einer hinterhältig lauernden Bodendiele zu werden, zur Dachluke vorarbeitete und anschließend langsam und bedacht die steile Leiter hinabkletterte.
Im Erdgeschoss überlegten sie, wie sie am bequemsten das Haus wieder verlassen konnten, ohne die von der Polizei angebrachten Siegel zu beschädigen.
»Der Zugang zur Veranda ist bestimmt nicht gesichert«, mutmaßte Haie und behielt recht. Die gläserne Tür, die vom Wohnzimmer
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