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Friesenrache

Friesenrache

Titel: Friesenrache Kostenlos Bücher Online Lesen
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Stock führte. Die Stufen knarrten leise unter ihren Tritten.
      In Ulfs ehemaligem Kinderzimmer lagen immer noch die Fotoalben auf dem kleinen Beistelltisch. Tom wollte gerade nach einem der Sammelbände greifen, um einen Blick auf die Fotografien zu werfen, als Haie ihn energisch zurückhielt.
      »Nichts anfassen«, wies er ihn an und holte aus seiner Jacke zwei Paar Gummihandschuhe, die er vorsorglich eingesteckt hatte, nachdem er den Entschluss gefasst hatte, in das Haus des ehemaligen Schulfreundes einzusteigen.
      »Wir sollten keine Spuren hinterlassen.«
      Sie streiften sich den Plastikschutz über die Hände und blätterten anschließend gemeinsam durch die Bilderalben. Wenngleich die Fotos ihnen auch einen umfassenden Einblick in das Familienleben der Toten gaben, Hinweise auf den möglichen Mörder Kalli Carstensens enthielten sie auf den ersten Blick nicht. Zu dem Schluss musste auch die Polizei gekommen sein, ansonsten hätte man die Bücher sicherlich beschlagnahmt.
      Dennoch betrachteten sie jede der Ablichtungen mit großem Interesse.
      »Schau mal hier«, Haie zeigte auf eine leicht vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografie. »Das ist unsere alte Klasse. Kalli, Barne, Ingwer.« Sein Finger glitt zwischen den einzelnen Personen auf dem Bild hin und her. Tom folgte aufmerksam seinem Fingerzeig.
      »Und das bist du, stimmt's?« Er deutete auf einen übergewichtigen Jungen in Cordhosen und Wollpullover. Die dunklen Haare standen ihm strubbelig vom Kopf ab.
      »Wie man sieht, war ich noch nie ein Verächter von guter Kost«, kommentierte der Freund grinsend sein Erscheinungsbild. Er löste das Foto vorsichtig aus dem Album und steckte es ein.
      Im Badezimmer war die Leiter zum Speicher noch hinuntergelassen. Steil ragte sie in die Dachluke empor und zeugte von dem letzten schweren Gang, den Sophie Carstensens hier vor Kurzem zurückgelegt hatte. Befangen blickten die beiden die hölzernen Streben entlang hinauf zu dem über ihnen liegenden Loch, das sich düster am Ende der Leiter auftat.
      Es kostete sie eine Menge Überwindung, Tritt um Tritt den beinahe senkrechten Anstieg zu bezwingen. Haie fragte sich, was der Selbstmörderin wohl durch den Kopf gegangen war, als sie hier hinaufstieg. Hatte sie Angst verspürt? Hatten sie Zweifel geplagt? War sie vielleicht kurz davor gewesen, wieder umzukehren?
      Ein seltsames Gefühl ergriff ihn und ließ ihn nicht mehr los. Er hätte nicht in Worte kleiden können, was in diesen Augenblicken, als er dem Fundort der Leiche immer näherkam, in ihm vorging. Am liebsten wäre er auf der Stelle umgekehrt, doch irgendetwas zwang ihn, Stufe um Stufe zu erklimmen, um mit eigenen Augen zu sehen, wo Sophie Carstensen ihre letzten Minuten verbracht hatte.
      Auf den ersten Blick schien nichts ungewöhnlich an diesem Ort. Alte Möbelstücke stapelten sich inmitten von Kartons und verstaubten Kisten. Ein paar verschlissene Teppiche lagen zusammengerollt neben einer provisorischen Kleiderstange, an der unter einer durchsichtigen Plastikhülle längst aus der Mode gekommene Mäntel und Kleider hingen.
      Das Grauen spielte sich lediglich in ihren Köpfen ab. In ihrer Vorstellung sahen sie den leblosen Körper am Balken baumeln, die Augen weit aufgerissen, ins Leere starrend. Die nackten bleichen Füße pendelten über den wurmstichigen Bodenbrettern, auf denen sich ein dunkler, kreisähnlicher Fleck gebildet hatte.
      Haie blinzelte. Das Trugbild seiner Sinne verschwand, der dunkle Fleck auf den hölzernen Dielen hingegen blieb. Wenn auch nicht in der gleichen Intensität wie in seiner Vorstellung, ließ sich die Stelle, an welcher Sophie Carstensen im Todeskampf ein letztes Mal uriniert hatte, dennoch erahnen. Er schluckte und blickte sich zu seinem Freund um, der mit zaghaften Schritten über den ächzenden Dachboden näher kam.
      »Ziemlich düster«, stellte Tom fest, »ich glaube, ich hätte mir eine andere Stelle zum Sterben ausgesucht.«
      Haie nickte. Er selbst hätte vermutlich einen schönen Baum draußen in seinem Garten oder im Wald gewählt, aber so viel Zeit war Sophie Carstensen vermutlich nicht mehr geblieben. Sie musste sehr verzweifelt gewesen sein, als sie den Entschluss gefasst hatte, sich selbst umzubringen, und hatte nicht riskieren wollen, dass der Mut sie wieder verließ. Deshalb war sie wohl auf den finsteren Dachboden gestiegen und hatte sich hier zwischen dem ganzen ausgedienten Krempel an dem schäbigen Holzbalken

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