Friesenwut - Kriminalroman
schwieg.
»Nichts.«
»Wie, ›nichts‹?«
»Es hatte niemand eine
Jacke, einen Mantel oder einen Pullover aus diesem Stoff an. Und Klaas Meyer
trägt immer seine grau-grüne Jacke, wenn nicht gerade Bauernhochzeit oder
Ehrung bei der Feuerwehr ist. Immer. Ich habe Befragungen durchführen lassen.
Niemand kennt Klaas Meyer ohne seine grau-grüne Jacke. Und die hat kein solches
Innenfutter.«
»Na ja, bei drei Grad ergibt eine
dicke Jacke Sinn …«, murmelte Itzenga. Dieser Stofffetzen irritierte sie.
»Und er hing an der Tür?«, fragte
sie, auf das kleine Stück schauend, das sorgsam in einem Tütchen verpackt war.
»An einem Grat, der infolge des
Aufpralls an der zerstörten Tür scharf hervorstand. Soll recht fest daran
gehangen haben, immerhin hat ihn der Herbstwind, der in der ostfriesischen
Marsch bekanntlich nicht von Pappe ist, nicht weggeweht.«
»Das ist seltsam, allerdings.«
»Das meine ich auch!«, bestätigte
Ulferts. Er schien in diesem Augenblick sehr von sich überzeugt zu sein.
»Also, du meinst, es war noch
jemand am Unfallort!«
»So ist es!«
»Ist wirklich alles überprüft
worden?«
»Also so viele Leute waren an
diesem gottverlassenen Standort ja nicht zugegen. Wir sprechen nicht vom
Berliner Alexanderplatz oder Hamburger Hauptbahnhof. Die Anwesenden zu fragen,
ob sie ein entsprechendes Kleidungsstück anhatten, bedarf keiner wochenlangen
Analyse! Und ich bemerkte ja bereits, dass die Kollegen diesbezüglich
Informationen eingeholt haben.«
»Ist ja gut«, Itzenga ärgerte sich
über Ulferts’ Antwort.
Ulferts setzte wieder an: »Was
heißt das nun? Meyer hat gesagt, dass er vor Ort war, er hat betont, er sei
allein gewesen …«
»Und der, den er auf dem Weg zum
Hof getroffen hat?«
»Den hat ein Kollege befragt,
dieser Neue aus dem Binnenland, Walter Steinhoff. Der Mann heißt Hajen, hatte
weder Fakten noch ein eingerissenes Kleidungsstück zu bieten, die uns
weitergebracht hätten. Er ist an die 80, Bauer, sagte ich ja schon, machte
nicht gerade den fittesten Eindruck laut Steinhoff. Blieben noch die beiden
Typen, die Freya Reemts gefunden haben, Harms und Reersemius. Die haben Alibis,
von ihren Frauen zumindest, ich meine, das wäre ja ein Ding …«
»Wer ist sonst nachts in der
Marsch unterwegs? Dort scheint ja manchmal Hochbetrieb zu herrschen.«
»Keine Ahnung. Das kann nicht so
schwierig rauszufinden sein!«
»Sagst du – in der
gottverlassenen Gegend bleibt vieles unbemerkt.«
»So verlassen ist die auch wieder
nicht. Es stehen allerhand Höfe und Häuser dort. Wo können wir ansetzen?«,
fragte Ulferts seine Vorgesetzte.
»Wir gehen somit davon aus, dass
jemand am Unfallort war, von dem wir nichts wissen?«
»So sehe ich das ebenfalls, Frau
Hauptkommissarin. Ich vermute, dass die Lösung des Falls nicht so einfach ist,
wie wir uns das vorgestellt haben. Ich hatte ja immer dieses Gefühl …«
»Ach, hör mir auf mit deinen
Gefühlen«, Tanja Itzenga lachte ihn kurz an und setzte dann fort, ernster:
»Wäre auch zu schön gewesen. Wir haben es wenigstens mit unterlassener
Hilfeleistung zu tun – die Person war vermutlich noch vor Klaas Meyer am
Unfallort.«
»Das ist mehr als wahrscheinlich.«
Ulferts vergegenwärtigte sich die große Ostfrieslandkarte, die in seinem Büro
hing. Das tat er oft, wenn er nicht genau wusste, wie es weitergehen sollte. Er
fuhr fort:
»Unterlassene Hilfeleistung, klar.
Und das sollte man nicht einfach unter den Teppich kehren. Jemand muss alles
gesehen haben und hat sich dann mir nichts, dir nichts verpiss… aus dem Staub
gemacht. Eine Spur Verständnis habe ich sogar dafür.«
»Na prima, Herr
Kollege! Verständnis für unterlassene Hilfeleistung, dazu noch mit …«, Itzenga
machte eine kurze, nachdenkliche Pause und führte dann den Satz zu Ende, etwas
leiser, »Todesfolge … Immerhin haben wir ein Beweisstück, das es
erforderlich macht, der Sache weiter auf den Grund zu gehen. Gut gemacht,
Kollege Ulferts, wirklich.« Itzenga schenkte ihm einen anerkennenden Blick.
»Danke, Frau Hauptkommissarin, das
geht ja runter wie Öl. Die große Frage bleibt trotzdem, liebe Tanja, wie wir
weitermachen. Für viele ist der Fall schon so gut wie gelöst!«
»Am besten gebe ich ihn ab.«
»Nee, nicht? Tanja, das kannst du
nicht …« In Ulferts Gesicht spiegelte sich blankes Entsetzen. Das ist ein Fall
für zwei, dachte er.
»Nicht?« Itzenga sah ihn
herausfordernd an. Ulferts starrte zurück, seine Augen sagten: »Das
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