Friesenwut - Kriminalroman
ist unser
Fall, unsere Sache.« Sie kannte ihn lang genug und sagte: »Okay. Ich werde es
damit begründen, dass wir die Herkunft des Stofffetzens klären wollen.«
»Die Leiche muss jedenfalls
genauestens von den Spezialisten untersucht werden. Die Ärzte haben schon
dienstbeflissen und sorgfältig Protokoll geführt. Ich habe leider noch keine
Einzelheiten erfahren.«
»Woran denkst du?«
»Ich weiß es selbst nicht so
genau. Wenn ich mir vorstelle, dass jemand nachts in einer ziemlich einsamen
Gegend an einem schweren Unfall vorbeikommt – wo sonst niemand zu Fuß
unterwegs ist – und dann ohne zu helfen wieder von der Bildfläche
verschwindet, fallen mir allerhand Geschichten ein. Aber sachlich
gesehen – keine Ahnung. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Wir
sollten uns genau erklären lassen, was dem Fahrer zugestoßen ist – woher
die Verletzungen rühren, die er hat, und so weiter. Wir wissen bereits von vier
Leuten, die zum Unfallzeitpunkt unterwegs waren. Das ist der Ausgangspunkt für
weitere Nachforschungen. Nur zur Sicherheit. Jetzt siehst du, Tanja, dass du
einen schlechten Einfluss auf mich hast. Ich beginne tatsächlich, mich von
Gefühlen leiten zu lassen und nicht von meinem sachlichen, männlichen und damit
unfehlbaren Sachverstand.«
»Pfft, dass ich nicht
lache … Also sieh zu, dass du eine Audienz bei den Ärzten und Rechtsmedizinern
bekommst. Hier in unserer Anstalt werde ich versuchen zu erklären, warum der
Fall nicht geschlossen werden darf. Hauptsache, es passiert nicht gleich wieder
etwas anderes. Bei der Personalmangelwirtschaft werden wir ansonsten gleich
abgezogen und können den Fall begraben. Rubrik ›gelöst‹.«
»Und irgendwer lacht sich
möglicherweise ins Fäustchen. Wo kommen wir denn hin, wenn alle weglaufen,
wenns Probleme gibt?«
»Dann mal los, Kollege, du sprühst
ja geradezu vor Arbeitseifer!«
»Guter deutscher Beamter. Immer im
Dienst. Mal im Ernst, das ist doch spannend: der unsichtbare Dritte: wer war
noch am Unfallort? Zu nächtlicher Stunde schleicht der schwarze Unbekannte
durch die ostfriesische Marsch …«
»Du solltest in deiner knappen
Freizeit Krimis schreiben … Hör auf, Ulfert, man sollte darüber keine Scherze
machen!«
»Ist ja gut. Man kann nicht immer
ernst sein, da würd’ ich meinen Job schmeißen.« Ulferts machte eine kurze
Pause. »Tanja, da ist noch etwas …«
»Ja?«
»Also, rein vorschriftsmäßig kann
ich das nicht allein machen.«
»Nee, klar. Hierarchie muss sein.
Wir müssen sehen, wer verfügbar ist, um dir zu helfen.«
»Wir sind doch ein gutes Team,
Tanja«, Ulferts scharrte geradezu mit der Fußspitze auf dem Boden.
»Was willst du?« In Itzengas Augen
spiegelten sich zwei Dinge: zum einen ein ›Nun haben wir eine Lösung und nun
sieh zu, dass du mehr herausfindest‹, zum anderen ein ›Ich ahne schon, worauf
du hinaus willst‹.
»Ich würde dich gern … Also, ich
allein, ich kann das doch gar nicht!«
»Quatsch, klar kannst du das. Du
bist ein super Mitarbeiter mit unfehlbarem männlichen Sachverstand. Da du dich
deswegen immer nur auf eine einzige Sache konzentrieren kannst, musst du
lediglich die richtige finden.« Sie strahlte Überlegenheit aus.
»Nein, Tanja, das wollte ich jetzt
gar nicht hören. Ich finde, das muss Chefsache sein, der Fall. Lass es uns
gemeinsam angehen.«
»Du weißt, dass ich das nicht
allein entscheiden kann?«
»Klar. Du wirst Eilsen sicher
überzeugen. In letzter Zeit könnt ihr ganz gut miteinander, der Herr Polizeipräsident
und du. Du bist doch immer überzeugend.« Ulferts’ momentaner Blick hatte etwas
Schmachtendes.
»Eigentlich nur wegen des
Hausfriedens und um uneffektives Streiten zu verhindern. Eilsen ist –
unter uns gesagt – ein ziemlicher Betonkopf. Aber gut, ich frage ihn.«
»Danke. Wenn wir wissen, von wem
der Stoff stammt, ist der Fall womöglich schnell gelöst.«
»Vielleicht. Klingt spannend,
obwohl ich eigentlich genug anderen Kram auf dem Schreibtisch habe. Dann gibt’s
also noch ein bisschen mehr zu tun.« Tanja Itzengas Gesichtsausdruck verriet
nicht, ob die soeben getroffene Entscheidung als ›gut‹ oder ›eher schlecht‹
einstufen sollte. Sie sammelte die Fotos ein, nahm den Ordner unter den Arm und
begab sich in Richtung Tür.
»Wohin?«
»Zum Vorgesetzten. Der Fall wird
nicht geschlossen und – noch – nicht an die Kollegen abgegeben, die
für Verkehrsdelikte zuständig sind. Und damit wir gleich anfangen können,
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