Friesenwut - Kriminalroman
nahm er wahr, rief einmal so laut, dass jeder es
hören konnte: »Glotzt nicht so! Nicht alle Kundengespräche verlaufen
harmonisch! ›Bank Ihres Vertrauens‹, dass ich nicht lache …« Er wandte
sich zum Gehen, drehte sich dann noch einmal um und rief laut und hörbar: »Die
verarschen euch, passt ja auf!« Dann machte er eine erneut abfällige Geste,
denn nun fiel ihm ein, dass die Angestellten im Schalterraum nichts für die
Finanzmisere konnten. Sie machten ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen.
Und die meisten machten ihn gut. Daran, genau daran musste man bei einigen, die
im Management saßen, wohl zweifeln. Wütend verließ er das Geldinstitut.
11
Tanja Itzenga war
eine der Ersten an diesem Morgen auf der Wache gewesen. Sie wollte einige
längst fällige Akten aufarbeiten. Sie hatte prima geschlafen. Kein
geschäftlicher Anruf in der Nacht, sie hatte geschlummert, bis der Wecker sie
um 6.15 Uhr aus sanften Träumen weckte. Sie gab ein paar Löffel Tee in die
Kanne und goss sprudelnd kochendes Wasser darüber. Schnell hatte sie sich mit
dem Teetrinken angefreundet. Schon bei ihrem ersten Fall, damals, in
Leybuchtpolder, sah sie, mit wie viel Hingabe die Ostfriesen den Tee bereiteten
und ihm als Wundermittel zur Wiederherstellung aller Kräfte – der
nervlichen, muskulären und seelischen – huldigten. Gerade goss sie sich
den ersten Tee in die Tasse, der Kluntje knisterte verlockend und sie freute
sich schon auf die weiße Wolke, welche die Teesahne gleich bilden würde, da wurde
ruckartig die Tür ihres Büros geöffnet.
»Hallo, wie wäre es mit Klopfen?«,
wollte sie gerade empört rufen, als sie Ulfert Ulferts vor sich sah. Er machte
einen miserablen Eindruck. Tiefe Falten im Gesicht, Bartstoppeln, offenbar seit
gestern nicht aus den Klamotten gekommen. »Hast du die Nacht …«, setzte Tanja
Itzenga an, doch er unterbrach sie sofort: »Nein, habe ich nicht, weder
durchgesoffen, noch hatte ich Schlafstörungen. Gearbeitet habe ich, mir die
ganze Nacht um die Ohren gehauen. Diese zwei Unfälle sind mir einfach nicht aus
dem Kopf gegangen. Und nun habe ich etwas, Tanja! Ich werde dir beweisen, dass
die einfache Erklärung von gestern nicht hinhaut.« Trotz seines momentan
schlechten Aussehens setzte er ein überlegenes, dennoch freundliches Lächeln
auf.
»Ich bin gespannt«, erwiderte die
Hauptkommissarin, »Tee?«
»Danke«, Ulferts setzte sich und
kramte allerhand Papier und Fotos aus seinem speckigen Lederrucksack, den er
nie gegen eine elegante Aktentasche eintauschen würde.
»Weißt du, insgesamt ist die Sache
tatsächlich sehr schlüssig. Ich habe mir tausend Gedanken gemacht, hin und her,
vorwärts, rückwärts, und musste der einleuchtenden Erklärung einfach zustimmen.
Mir ist keine schlüssigere eingefallen. Dann habe ich mir die Fotos Aldenhoffs
angesehen, der mit seinem Wagen nur kurze Zeit später in den anderen
Straßengraben und gegen den Baum gerast ist. Er ist derjenige, der Freya
Reemts, infolge des Fahrens unter Alkohol, in den Graben drängte und dann
Fahrerflucht beging. Passt alles in den Erklärungsversuch, zweifelsohne. Ich
habe mir die Bilder und den Bericht immer wieder vorgenommen. Deshalb die
schlaflose Nacht. Eigentlich umsonst. Erst als heute Morgen um halb acht
Dittmers von der Spusi reinkam und mir ein paar weitere Utensilien vom
Unfallort brachte, gab es neue Ansätze. Ich war fast im Halbschlaf, trotz zig
Tassen Kaffee. So viel habe ich noch nie von der braunen Brühe getrunken. Wie
sagte dieser Landwirt immer, der mal unser Informant war, vor ein paar Jahren,
weißt doch, der Saathoff? ›Holl mi up‹, sagte der immer. Ja, das passt –
so viel Kaffee, holl mi up«, Ulferts machte eine kleine Pause und es schien,
als schüttele er sich, da ihm gewahr wurde, dass er seinem Körper mindestens
zwei Liter Kaffee zugemutet hatte. Dann setzte er wieder an: »Leider ist Tee
machen umständlicher – jedenfalls richtigen Tee. Was soll’s. Schau mal.«
Tanja Itzenga reagierte
zunächst nicht auf die Unterlagen, die Ulferts ihr hinhielt, sondern bemerkte:
»Das klingt ja sehr dramatisch,
Ulfert. Im Moment habe ich nach wie vor die feste Absicht, die Akte abzugeben.
Du bist doch sonst so für pragmatische Lösungen. Also, was hast du gesehen?«
»Erst mal zum Hintergrund. Der
Bericht zu dem Autounfall besagt, dass der Wagen ins Schleudern gekommen sei,
ein Stück weit auf der Oberkante der Böschung des rechten Straßengrabens
entlang gefahren,
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