Friesenwut - Kriminalroman
der Fertigstellung.
Ulferts’
Hauptinteresse galt damit dem Stofffetzen und dem Hinweis von Barkowski. Erst
gestern Abend hatten Tanja Itzenga und er hin und her überlegt, allerdings war
ihnen schlicht kein Erklärungsmodell eingefallen, das in irgendeiner Weise die
Verletzungen und die von Barkowski festgestellten Druckstellen erklären könnte,
die dem Opfer womöglich erst später, nach dem Aufprall des Wagens am Baum,
zugefügt worden waren. Dazu kam ein weiteres verwirrendes Indiz. Einige
Fußabdrücke, die Klaas Meyer nicht zugeordnet werden konnten, sehr
wahrscheinlich von Gummistiefeln stammend. Ulferts hatte sie auf den
Unfallfotos entdeckt und Nachforschungen angestellt, aber es fehlte eine
schlüssige Erklärung, wenn man nicht der Theorie des unbekannten Dritten folgte.
Die war allerdings unbefriedigend, eben wegen ihres bislang rein theoretischen
Charakters. Diese Person, wenn es sie denn gab, befand sich im Moment außerhalb
der Reichweite der Polizei. Sie hatten keine Spur, um wen es sich handeln
konnte, und doch musste er oder sie gefunden werden. Der Gedanke, dass sich
unmittelbar nach dem Unfall jemand am Unfallort aufgehalten haben musste und
sich sogar an Alex Aldenhoff vergriffen haben könnte, ging Ulferts nicht mehr
aus dem Kopf. Immerhin gab es Hinweise, dass allerhand Personen nicht gerade
freundschaftlich mit dem Banker verbunden waren. Wenn nun … Schließlich musste
man allen Vermutungen nachgehen und waren sie noch so vage, sinnierte der
Kommissar. Vielleicht ging auch sein Kriminologenverstand mit ihm durch.
»Hilft nichts – wir brauchen mehr
Informationen«, murmelte er und schob den ganzen Papierkram, der vor ihm lag,
ein Stück weit nach vorn, um seiner Kaffeetasse Platz zu machen. Er schüttelte
den Kopf, während er kleine Schlucke des eigentlich zu heißen Getränkes zu sich
nahm. »Immer dieser Kaffee«, ging ihm durch den Kopf, ›Brackwater‹ sagte einer
seiner Freunde dazu, der ausschließlich Tee trank. Richtigen Tee, ostfriesische
Mischung. Auch Ulferts trank im Grunde lieber Tee, mit Kluntje und einem ›Wulkje‹
Sahne darauf. Aber Kaffee war einfacher zuzubereiten. Denn wenn man schon Tee
trank, dann richtig. Das allerdings hieß, alle Regeln der Kunst zu befolgen:
Wasser kochen, ein wenig über die Teeblätter gießen. Dann den Tee im
›Treckpott‹ lang genug – keinesfalls zu lange – ziehen lassen, den
Rest kochendes Wasser hinzugeben. Diese Menge Wasser musste natürlich mit der
vorab veranschlagten Menge der Teeblätter übereinstimmen. Den Tee umgießen,
schließlich Teetassen bereitstellen, richtige Teetassen, nicht irgendwelche
Becher, und Kluntje, Sahne … So machte man Tee in Ostfriesland. Meistens
kostete ihn das zu viel Zeit. Zur Teezeremonie kam er nur am Wochenende, denn
abends trank er ihn nicht mehr, wie viele Ostfriesen das taten. Also wich er
oft auf Kaffee aus. Es war so unglaublich praktisch, die Glaskanne unter der
Kaffeemaschine wegzuziehen und sich eine Tasse des schwarzen Gebräus
einzugießen. Hin und wieder schmeckte es gut, zumindest mit Zucker und Milch.
Einige Kollegen tranken ihn ganz schwarz. Das konnte er sich gar nicht
vorstellen, ihnen schien es offenbar zu bekommen. Mehr als zwei Tassen konnten
eigentlich nicht gesund sein, dachte Ulferts. Besagte Kollegen stimmten da
nicht zu. Und den Niederländern sagte man nach, dass sie abends um 10 noch gerne
Kaffee tranken. Manchmal trank er sieben oder acht Tassen, mehr in Gedanken
oder weil er wieder vergessen hatte, sich wenigstens eine Flasche Wasser mit
»auf Schicht« zu nehmen, wie er es nannte, wenn er zum Dienst ging. Und
irgendetwas musste man ja nun mal trinken, auf die zwei, drei Liter, die man
angeblich täglich zu sich nehmen sollte, kam er ohnehin nicht. Das konnte man
allenfalls mit Bier schaffen, doch nicht mit Fruchtsäften, Mineralwasser und
Pfefferminztee. Ulferts richtete sich in seinem Stuhl auf. Er hatte sich in
seinen Gedanken verloren.
»Moin, Ulfert«, holte
Tanja Itzenga den Polizisten in die reale Welt zurück. Der erschrak ein wenig,
fasste sich dann schnell wieder.
»Tanja, moin, du bist ja gut
drauf.« Ulferts starrte sie für einen Augenblick etwas geistesabwesend an. Dann
wurde sein Blick wieder klarer.
»Ich? Wenn du meinst. Gibt’s was
Neues?« Die Hauptkommissarin sah ihn erwartungsvoll an und ihr Blick traf ihn
wieder einmal so sicher und direkt, dass er daran denken musste, dass er ihr
einmal – nur einmal – deutlich
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