Friesenwut - Kriminalroman
viel Außergewöhnliches.«
»So lange, wie du draußen warst,
hätte man denken können, du seist unterwegs.«
»Ich wusste nicht, ob das
Muttertier bald kalben würde, also habe ich ein bisschen länger gewartet.«
»Na, solange du nur die Kühe
beobachtest«, Rehna zeigte kurze Zeit ein entspanntes Gesicht. Das freute
Menno.
»Hör mal, ich bin keine 30 mehr.«
»Tja, und?«
Ihr Gespräch wurde
unterbrochen.
»Sie können jetzt zu Dr.
Boltenhagen!« Schwester Margrit riss Rehna und Menno aus ihrem Gespräch.
»Ja, danke«, rief Rehna zurück.
Die beiden machten sich auf den Weg zur Bürotür. ›Dr. Boltenhagen, Innere
Medizin – Chirurgie I, Chefarzt‹ stand daran. Rehna klopfte.
»Immer herein!«, tönte es aus dem
Zimmer. Rehna drückte die Klinke und trat ein, hinter ihr Menno, der seinen
alten, etwas speckigen Elbsegler abgenommen hatte und in den Händen hielt.
»Frau Reemts, seien Sie gegrüßt,
Sie ebenso, Herr Reemts«, empfing der Arzt das Landwirtsehepaar.
›Seien Sie gegrüßt‹, ging es Menno
durch den Kopf. Wo kam der denn her? Dann sagte er kurz: »Moin.«
»Ich glaube, Schwester Margrit hat
Ihnen schon erzählt, dass wir berechtigte Hoffnung haben, dass Ihre Tochter
bald aufwachen wird. Wir messen beständig die Gehirnströme und allerhand andere
Parameter. Es geht deutlich bergauf.« Dr. Boltenhagen sah abwechselnd Rehna und
dann Menno an. Zuerst erwiderte niemand etwas.
»Das ist eine wirklich gute
Nachricht, Herr Doktor Boltenhagen«, freute sich Rehna, »wie lange wird das
dauern? Und wird Freya ansprechbar sein? Wird sie sich erinnern?«
Boltenhagen stoppte Rehna Reemts:
»Nicht so viele Fragen auf einmal. Das ist bei jedem Menschen unterschiedlich.
Wir werden Sie natürlich immer auf dem Laufenden halten. Wollen Sie kurz zu
ihr? Manchmal hilft es gerade in einer solchen Situation, wenn vertraute
Stimmen zu hören oder zumindest bekannte Personen in der Nähe sind. Man weiß
nie, was das für Auswirkungen hat.«
»Hoffentlich nur gute«, rutschte
es Rehna heraus.
»Das auf jeden Fall – ich
gehe davon aus, dass Sie ein gutes Verhältnis zu Ihrer Tochter haben?«
»Sie ist unser Ein und Alles«,
erwiderte Rehna.
»Das kann ich bestätigen«, meldete
sich Menno erstmals in diesem Gespräch zu Wort.
»Das freut mich«, lachte
Boltenhagen, »das ist ja nicht immer so.« Er dachte kurz an seine Familie und
den Vorwurf seiner beiden Kinder, er sei ja nie da.
»War Ihre Tochter vorher mal krank
oder hatte irgendwelche Probleme?«, wollte er wissen.
»Nein, wieso wollen Sie das
wissen?«
»Es ist manchmal wichtig, die
Situation zu kennen, in der sich ein Mensch befand, kurz bevor er ins Koma
fiel, deshalb.«
»Nein, nein«, bemühte sich Rehna,
»sie war bei guter Gesundheit und meistens bester Laune. Wir hatten ein prima
Verhältnis, sie hatte einen Freund, mit dem sie viel Zeit verbrachte …«
»De olle Schkepsel«, rutschte es
Menno heraus.
»Bitte?«, fragte Boltenhagen.
»Mein Mann mag Freyas Freund nicht
besonders«, wiegelte Rehna ab.
»Hm, typisches Problem des Vaters,
der die Tochter nicht loslassen will?« Boltenhagen sah Menno in die Augen.
»Nee, nee, damit werd’ ich schon
fertig. Der Typ passt einfach nicht zu Freya, der ist, wie soll ich sagen, ach,
so ein feiner Pinkel, arbeitet bei der Bank. Ich meine, die sind nicht alle so,
es gibt nette Kerle darunter, ganz klar, das kann man nicht anders sagen. Aber
der, der ist so aalglatt, hat schon manchen über die Klinge springen lassen und
tut immer so nett und freundlich …«
»Menno, ich glaube nicht, dass das
den Doktor interessiert«, warf Rehna ein.
»Wohl nicht, Entschuldigung«,
erwiderte Menno, leiser werdend. Wieso er gerade hier so aufbrauste, war ihm
selbst nicht klar.
»Sie brauchen sich nicht zu
entschuldigen. Solche Probleme gibt es wohl in fast allen Familien«, meinte der
Arzt und machte nochmals eine nachdenkliche Pause. »Haben Sie sonst noch
Fragen?«
»Können wir denn jetzt in das
Krankenzimmer gehen?«
»Ja sicher, das hatte ich
zugesagt. Warten Sie, ich sage Bescheid.«
Boltenhagen nahm das kleine
Funkgerät aus der Brusttasche seines weißen Arztkittels und gab durch, dass das
Ehepaar Reemts für wenige Minuten zu seiner Tochter dürfe. Dies habe
therapeutische Gründe und Schwester Margrit möge dabeibleiben und die
Herrschaften zum Gehen auffordern, wenn sie dies für notwendig hielt. Menno
hörte das ›Herrschaften‹ und schüttelte innerlich den Kopf: welche
Weitere Kostenlose Bücher