Friesenwut - Kriminalroman
schwer auf seiner Seele brannte. Er
wollte weg – nach Schleswig-Holstein, mit ein paar Freunden. Dort lebte
seit einiger Zeit ein Kumpel aus der Schulzeit. Einmal im Jahr unternahmen sie
alle zusammen etwas. Dieses Jahr wollten sie ihn dort auf dem Dorf besuchen,
mal nach Kiel oder Hamburg fahren. Sein Kopf war einfach voll von den
Ereignissen der besagten Nacht und all dem, was drumherum eine Rolle spielte.
Er musste ihn mal wieder freibekommen, in Ruhe nachdenken. Ein paar freie Tage
und ganz andere Eindrücke würden ihm helfen. Sein Grundproblem blieb gleichwohl
bestehen. So sehr er sich seinen Kopf zermarterte – es fiel ihm einfach
nicht mehr ein, wie sich sein Nachhauseweg im Einzelnen abgespielt hatte. Es
gab diese kleine Verfolgungsjagd zwischen ihm und Alex Aldenhoff. Ach, was hieß
schon Verfolgungsjagd … Außerdem war er doch noch zur Besinnung gekommen. Fuhr
dem Vordermann nicht mehr auf, bremste, bog ab. Über die Feldwege wollte er
nach Manslagt fahren. Und er war heil angekommen. Die Pause bei Marten Sommer
war nur kurz gewesen, es war letztlich eine blöde Idee gewesen, dort noch zu
halten. Und Sommer hatte sich nicht blicken lassen. Sie tranken keinen Absacker
mehr, der Scheidebecher war leer geblieben. Er wusste, dass Aldenhoff den Weg
hatte nehmen müssen, auf dem auch Freya mit ihrem schönen, alten
Hollandrad – Gazelle Touren A – unterwegs gewesen war. Warum gerade
zu diesem Zeitpunkt? In der Zeitung stand, dass Aldenhoff sie umgenietet haben
musste, bevor er sich selbst ins Jenseits beförderte. Völlig verrückt. Doch
wenn irgendjemand bemerkt hatte, dass er und Aldenhoff, mit stark überhöhter
Geschwindigkeit vorher schon die Straße aus Leybuchtpolder kommend,
hintereinander hergeprescht waren? Dann würde er früher oder später bei der
Polizei antanzen müssen. Die waren ja nicht blöd. Und wenn er dann mit
Antworten kam, wie ›Ich erinnere mich nicht genau‹, dann wäre das wie im
schlechten Film – und doch wahr. Kein Polizist würde ihm das abnehmen. Er
wischte die Gedanken weg, atmete einmal tief durch und blickte in den Himmel,
an dem sich graue Wolken von West nach Ost über die ostfriesische Marsch
bewegten. Es würde sich alles finden, beschloss er.
Manninga hing
seinen Gedanken noch nach, während er den Jutebeutel von der linken zur rechten
Hand wechselte. Mit der Zeit wurde er schwer. Immerhin stand sein Entschluss
fest: Besoffen fahren, damit war ein für alle Mal Schluss. Auch wenn alles gut
gegangen war. Rainer bog um die Ecke und kam auf die Straße, in der er wohnte.
Er blickte auf und glaubte zu träumen. Das konnte doch nicht wahr sein, so ein
verdammter Mist! Und peinlich ohne Ende. Vor seinen Augen präsentierte sich
etwas, das, in Nullkommanichts, Gesprächsthema Nummer eins im Dorf sein würde.
Gern wäre er umgedreht und verschwunden, zögerlich ging er weiter auf das Haus
zu.
»Herr Manninga?«,
fragte die Frau, die aus dem Polizeiwagen ausstieg, der direkt vor seinem Haus
stand. Sie sah etwas müde aus, blickte dennoch freundlich. Sie kam ihm einige
Schritte entgegen.
»Ja, das bin ich«, erwiderte
Rainer unsicher.
»Itzenga, Kriminalpolizei Aurich.
Ich nehme beinahe an, dass Sie sich nicht unbedingt wundern, jemanden von der
Polizei bei sich zu sehen?« Erwartungsvoll sah Tanja Itzenga den Mann an der
Tür an. Der blieb regungslos, jedenfalls äußerlich.
»Polizei? Nein, ich habe niemanden
erwartet. Ganz und gar nicht.«
»Herr Manninga, ich würde Ihnen
gern ein paar Fragen stellen.«
»Mir? Fragen? Ja, das … das
überrascht mich jetzt ein bisschen. Meinetwegen. Ach, kommen Sie herein, ich
habe gerade Tee gekauft.« Gern hätte er die blonde Frau von der Polizei
gefragt, ob sie den Wagen nicht um die Ecke fahren könnte, also nicht so genau
vor seiner Wohnung parken müsste, aber er ließ es sein. Das wäre verdächtig
gewesen. Wer nichts zu verbergen hat, den kann die Polizei befragen.
Rainer versuchte, einen klaren Kopf zu behalten,
schloss die Tür auf, bat Tanja Itzenga herein. Mit polizeilich geschultem Blick
ließ sie ihre Augen durch die kleine Wohnung streifen, bevor sie sich auf dem
alten Sofa im Wohnzimmer niederließ.
»Ich
mach mal Tee«, kündigte er an und war froh, in der kleinen Küche wenigstens für
ein paar Minuten allein sein zu können, auch wenn die Tür zum Wohnzimmer
offenstand. Fast war er der Hauptkommissarin dankbar, dass sie ein paar Minuten
nichts sagte, sondern sich interessiert in der
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