Friesenwut - Kriminalroman
Wohnstube umsah. Die Absichten
der Frau, die vorerst schweigend nebenan saß, waren unschwer zu deuten. Er
kochte Wasser, goss das sprudelnde Nass auf die eben bei Bertha Schmidt mühsam
erworbenen Teeblätter und ließ den Tee ziehen, bevor er ihn in die
doppelwandige Warmhaltekanne umfüllte. Mit Teetassen, Kluntje und Sahne auf dem
Tablett trat er wieder ins Wohnzimmer. Er setzte sich, verteilte die
Utensilien, schenkte zuerst der Polizistin, dann sich selbst Tee ein. Der
Kluntje knisterte … Rainer wunderte sich, dass die Hauptkommissarin immer
noch nichts sagte, sondern ihn intensiv zu beobachten schien. Doch
erstaunlicherweise wurde er nicht nervös, sie wirkte geradezu beruhigend auf
ihn. Im Moment jedenfalls. Sie saß dort einfach, schaute ihn eindringlich an,
dann schweifte ihr Blick wieder durch das Zimmer, blieb schließlich an der
dampfenden Teetasse hängen, als die Sahne ihre einzigartigen Schlieren zog.
»Dat Wulkje«, sagte Itzenga
versonnen, dann blickten sie und Manninga auf, sahen sich kurz in die Augen.
Wieso war eine solche Frau bei der Polizei? Rainer fand die kleinen Fältchen um
die Augen geradezu betörend. Doch das war nur ein kurzer Gedanke, der ihm durch
den Kopf ging.
»Wie kann ich Ihnen helfen?«,
bemühte sich Rainer, offen und ehrlich zu fragen. Ob er wirklich helfen wollte,
wusste er nicht.
»Sie kennen Freya Reemts?«
»Sicher«, kleine Pause. »Klar
kenne ich sie.«
»Sie waren mit Freya Reemts
befreundet?«
»Ja. Aber …«
Itzenga ließ ihn nicht zu Wort
kommen.
»Sie haben gehört, dass Frau
Reemts einen schweren Unfall hatte?«
»Ich habe es gelesen.«
»Sie waren an diesem Abend in
einer Diskothek in Norddeich?«
»Ja.«
»Haben Sie dort Alkohol
getrunken?«
»Ein, zwei Bier …« Erste Lüge.
»Wie und wann sind Sie von dort
nach Hause gekommen, Herr Manninga?«
15
Als Rehna und Menno
Reemts an diesem Morgen ins Krankenhaus kamen, wurden sie von der
diensthabenden Schwester mit positiver Miene begrüßt.
»Moin, Frau Reemts«, sie reichte
ihr eine Hand, dann wechselte sie zu Menno: »Moin, Herr Reemts. Es gibt gute
Neuigkeiten. Ihre Tochter scheint aus dem Koma zu erwachen. Die Auswertungen
der Untersuchungen sind eindeutig. Ich frage gleich mal nach, ob Dr.
Boltenhagen Zeit für Sie hat.« Und schon war sie in der Tür zum
Schwesternzimmer verschwunden und hatte das Telefon am Ohr. Rehna sah ihren
Mann an, und nachdem sie das Gesagte realisiert hatte, schienen sich ihre
Gesichtszüge ein wenig zu entspannen.
»Hebb ick doch seggt.
Uns’ Freya, dat is’n ganz starken!«, flüsterte Menno ihr ins Ohr, als er sie in
den Arm genommen hatte. Rehna erwiderte nichts. Jetzt kullerte wieder eine
Träne über ihre Wange, diesmal war es wohl eine Freudenträne. Die Schwester
legte auf und kam aus dem Zimmer.
»Dr. Boltenhagen ist
noch auf Visite. In 20 Minuten hätte er ein bisschen Zeit. Sie sollen um
viertel vor zehn in sein Büro kommen. Wissen Sie, wo das ist?«
»Ja, wir waren schon
mehrmals dort«, erwiderte Rehna, »das finden wir.«
»Prima.« Die
Fröhlichkeit, die Schwester Margrit ausstrahlte, war erstaunlich. Auf einer
Intensivstation so viel Freude am Leben zu haben, war sicherlich nicht immer
einfach. Menno Reemts erinnerte sich an seine Zeit hier. Damals hatte er
Schwester Margrit kennengelernt, eine Altgediente. Es war nicht lang nach
seiner Ankunft im Krankenhaus gewesen. Die Brust drohte ihm zu bersten, so
stark waren die Schmerzen gewesen. Meinhard Harms hatte er angerufen, mitten in
der Nacht. Für den war es keine Frage gewesen: ›Klar, ich komme!‹. Dann fuhr er
ihn ins Krankenhaus und der Rest war wie ein böser Traum gewesen: kurzes EKG,
ab auf die Intensiv, Lysetherapie. Wenige Stunden später fühlte er sich schon
wieder stark genug, um in den Kuhstall zu gehen und zu melken. Doch das ließ
natürlich niemand zu. Es war der Moment, in dem Schwester Margrit den Dienst
antrat. Sie begrüßte ihn kurz und schloss unmittelbar an: »Ach, ein
Herzinfarkt. Das ist ein Mist, was? Dabei sind Sie noch gar nicht so alt.«
Menno war keine Antwort eingefallen. Er konnte und wollte es immer noch nicht
glauben. Schließlich gab es Fehldiagnosen und die Ärzte hatten selbst davon
gesprochen, dass sie alle vorbeugenden Maßnahmen treffen mussten, obwohl die
Diagnose nicht endgültig stand. Doch die Schwester hatte recht gehabt. Wenn das
nun stimmt, dann ist das allerdings ein ganz schöner Mist, hatte Menno gedacht.
Das konnte er
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