Friesisch Roulette
Thermoskanne, die zu Bruch gegangen war, sowie ein zerborstenes Futterhäuschen für Vögel. Zwei Wäscheständer waren verbogen, die Heinrich Siedenbiedel jetzt würde billiger verkaufen müssen.
Gestohlen war fast nichts, von der Mettwurst fehlte augenscheinlich etwas, aber das war zu verschmerzen, und Geld war nicht in der Kasse gewesen, das nahm Heinrich Siedenbiedel abends immer mit in die Wohnung.
Was allerdings noch fehlte, das beunruhigte Heinrich Siedenbiedel so sehr, dass er es nicht einmal seiner Frau erzählen wollte. Er hätte relativ sicher sein können, dass es dann bald auch Wilmine Ahlers wüsste und damit binnen kürzester Frist das ganze Dorf und auch die Polizei.
Mit dem Laden, den er von seinem Vater übernommen hatte, so wie der zuvor von seinem Vater, war auch etwas von Generation zu Generation gewandert, das Heinrich Siedenbiedel immer als einen Talisman betrachtet hatte, damit ihm und dem Geschäft nichts zustoÃen möge.
Und nun war dieser Talisman verschwunden und hatte vielleicht eine alles andere als beschützende Kraft entfaltet und seinen Namen ironisch ins Gegenteil verkehrt. Oder eher zynisch, denn anders konnte es schon von den Herstellern nicht gemeint gewesen sein, als sie ihren Colt »Peacemaker« genannt hatten.
Sein GroÃvater hatte ihn damals eingetauscht, die näheren Umstände erinnerte Heinrich nicht mehr, und seither lag der Revolver in der Schublade unterhalb der Kasse.
Nun war er fort und möglicherweise die Waffe, mit der der Mann im Schilf erschossen worden war.
Es war kurz vor sechs, Heinrich Siedenbiedel erwartete keine Kundschaft mehr, es waren schon alle da gewesen, die gewöhnlich bei ihm einkauften, und trotzdem ertönte jetzt die Türglocke.
Heinrich Siedenbiedel hob den Kopf und kniff die Augen leicht zusammen, denn die Tür wies Richtung Westen, und die eintretende Person stand im Gegenlicht.
Er erblickte einen Fremden.
»Chuten Tag«, brummte der Schattenriss mit schwerem Akzent in warmem Bariton.
»Moin«, unternahm Heinrich Siedenbiedel Lektion eins in Sachen Landessprache.
Der Bariton näherte sich, und beide Männer schauten sich an, der eine unschlüssig, der andere mit lauer Erwartung.
»Suchen Sie Ihren Kollegen?«, fragte Heinrich Siedenbiedel.
»Nix Kollägä«, versuchte Nicolaj, die Tarnung aufrechtzuerhalten.
»Ach so«, sagte Heinrich Siedenbiedel, der sich dachte, dass das nicht stimmen konnte, dem es aber auch vollkommen gleichgültig war.
Nicolaj kramte unentschlossen in den ausliegenden SüÃigkeiten herum, nahm einen Schokoriegel und deutete auf eine Flasche Bier im Regal hinter Heinrich Siedenbiedel. Der verstand, dass es nicht um Vorratshaltung, sondern akuten Durst ging, und holte ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank.
Nicolaj nickte dankend, nestelte einen Fünf-Euro-Schein auf den Zahlteller, nahm das Wechselgeld und nickte zum Abschied stumm dem Kaufmann zu.
Mit seinem Versuch der perfekten Tarnung hatte Nicolaj sich um die Erkenntnis gebracht, was aus Putin geworden war. Oder er hatte sie sich erspart, ganz wie man es sehen wollte. Aber nun wusste er, dass er hier gewesen war.
25
»Herr Renken«, rief es in der Diele. Johann erkannte die Stimme des Kommissars.
Er schlappte in die Diele, und statt die erneut ungebeten eintretenden Gäste weiter hineinzubitten, wies er mit der Hand nach drauÃen.
Vor dem Haus zeigte er auf eine Bank, auf die sich die beiden Beamten nach einem kurzen Blick zum tiefgrauen Himmel folgsam setzten. Johann griff sich einen alten, verwitterten Küchenstuhl, der dort herumstand, drehte ihn um, sodass er sich sitzend mit den Ellbogen auf die Rückenlehne stützen konnte, und schaute seine Gäste ausdruckslos an.
»Herr Renken, wir haben etwas über Ihre Vorgeschichte herausbekommen«, eröffnete der Mann im »Camp David«-Shirt das Gespräch.
»Ach«, machte Johann.
»Warum haben Sie uns nichts davon erzählt?«
»Warum hätte ich sollen?«
Und, nach einer Pause: »Vorgeschichte ist Geschichte, oder? Das sagt das Wort ja schon.«
Und, nach einer weiteren Pause: »Erzählen Sie es jedem, wenn Sie vor hundert Jahren irgendwo falsch geparkt haben?«
»Also, Sie wollen das doch wohl jetzt nicht mit Falschparken vergleichen«, schaltete sich die Kollegin ein.
»Das ist vorbei. Und was hat das mit mir zu tun, wenn da einer tot hinterm
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