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Friesisch Roulette

Friesisch Roulette

Titel: Friesisch Roulette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marvin Entholt
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das ständige Ausweichen vor Kuhfladen hatte einen gradlinigen Kurs und eine klare Orientierung verhindert, so wie man sich ganz schrecklich verlaufen konnte in einer Stadt, in der die Straßen eine unmerkliche Krümmung hatten. Man wähnte sich im Norden, war aber in Wahrheit schon lange unbemerkt nach Westen abgedriftet. Mindestens.
    So schlich sich Nicolaj über den Hof und ahnte nicht, dass er sich genau diesem Anwesen in der Nacht zuvor von der anderen Seite genähert und in dessen Federbett selig geschlummert hatte.
    Er ließ das Wohngebäude links liegen und steuerte auf eine Scheune zu. Während er sich umsah, ob nicht doch im Bauernhaus plötzlich Licht anging, weil ihn jemand bemerkt hatte, trat er gegen einen Blecheimer, der mit lautem Geschepper umfiel. Nicolaj duckte sich und hoffte, dass niemand wach geworden war und nach dem Rechten sah.
    Aber die Fenster blieben dunkel. Das mussten Menschen mit gesegnetem Schlaf sein, er selbst hätte senkrecht im Bett gestanden.
    Seit er in Deutschland war, schlief er schlecht, schreckte oft schweißgebadet auf, vielleicht war das Ganovenleben einfach nichts für ihn. Aber wenn ihr Coup jetzt klappte, und danach sah es aus, dann wäre Schluss damit, aus und vorbei, dann gab es den Ganovenvorruhestand und ein bisschen Luxus.
    Es rührte sich noch immer nichts im Hause, also wagte Nicolaj sich aus seiner Deckung. Die Tür der Scheune war nur ein paar Schritte entfernt und schien angelehnt zu sein. Nicolaj öffnete sie einen Spalt.
    Â»Rybka«, rief er leise hinein, das war sein Spitzname für Putin, »Fischlein«. Eigentlich ein Kosename für eine Frau, aber er passte gut zu seinem sibirischen Leidensgenossen, fand Nicolaj.
    Â»Wowa«, setzte er nach, »Wolodja.« Doch keine Antwort. Kein Putin.
    Nicolaj öffnete die Tür so weit, dass er hineinschlüpfen konnte. Seinen Koffer hatte er immer noch bei sich, wie ein Handelsreisender auf Abwegen. Er kniete sich hin, öffnete einen Reißverschluss, kramte eine Taschenlampe heraus, richtete sich wieder auf und schaltete die Lampe ein.
    Â»Prokljatie!!«, schrie er, so etwas wie »Verflucht!«, denn er stand Auge in Auge mit einem blutigen, über Kopf hängenden toten Schaf, das er mit seiner Stablampe von unten dämonisch anleuchtete.
    Was zum Teufel sind das für perverse Leute hier, die so etwas machen?, dachte er. Waren das Urmenschen, oder war es irgendein Ritual, ein religiöses Opfer? In Sekundenbruchteilen wurde Nicolaj klar, dass er im Grunde nichts über die Deutschen wusste, und in diesem Moment war ihm ebenso klar, dass er auch gar nichts über sie lernen wollte, wenn sie solche Sachen veranstalteten. Er ließ seinen Kopf sinken und stieß denselben Fluch noch mal aus, nur etwas leiser.
    Vor sich entdeckte er ein seltsam verschnürtes Bündel in einer Schubkarre, und Nicolaj war lange genug in der Ganovenbranche, um erkennen zu können, dass von Form und Größe des Päckchens auf einen leblosen Inhalt zu schließen war.
    Hektisch zerrte er an der Folie am vermeintlichen Kopfende, vergeblich, zu fest war es mit Klebeband verschnürt. Er klemmte die Taschenlampe zwischen die Zähne – als Nächstes würde er sich eine Stirnlampe kaufen! –, nestelte nervös am Reißverschluss seines Koffers herum, bekam ihn nicht auf, dann klappte es endlich. Er fingerte nach einem Taschenmesser, brauchte drei Anläufe, um die richtige Klinge auszuklappen, und begann, die Folie aufzuschlitzen.
    Â»Wowa! Wowotschka!«, jammerte und klagte er, stieß weitere Flüche und Verwünschungen aus, weil die Klinge stumpf war, riss, zerrte und säbelte an dem Material und hoffte inständig, aber mit schwachem Glauben, etwas anderes darunter zu finden als seinen lieben, lebensunerfahrenen sibirischen Kompagnon.
    Hätte er ihn doch nur nicht allein auf diese Mission geschickt! Was für ein verfluchter, feiger, gewissenloser Hund er doch war.
    Â»Wowa, Wowik, vergib mir«, sagte er zu dem Bündel und bekam endlich ein Loch in die Folie. Er zerrte es größer, als müsste er schnell Luft hineinlassen, damit der eingeschnürte Freund ausreichend Sauerstoff erhielt, auch wenn das Paket sehr leblos dalag.
    Er zog mit aller Kraft an dem Plastik, riss die Öffnung weiter auf – und verharrte: Das war nicht sein Wowa, dort in der Folie!
    Er dankte der Muttergottes, dem Patriarchen und

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