Friesisch Roulette
allen Heiligen, riss und schnitt weiter, um ganz sicher zu sein, und es war klar: Das war ein wildfremder Mann, der übel zugerichtet und dann in die Folie gewickelt worden war.
Wer war das? Und was war hier passiert? Hatte der Fremde seinen Wowa, seinen Putin, verfolgt, und hatte der ihn eiskalt erledigt? Hatte Nicolaj seinen schüchternen Mitstreiter unterschätzt? Aber warum hätte er den Fremden dann noch verschnüren sollen wie ein schlampig eingewickeltes Weihnachtspäckchen?
Und was hatte das Schaf zu bedeuten? War das hier eine Abrechnung unter rivalisierenden Banden? Das Schaf musste doch irgendeine symbolische Bedeutung haben. Ein Zeichen der friesischen Mafia?
Plötzlich hatte Nicolaj den Eindruck, dass es gar keine so gute Idee gewesen war, ein Versteck im vermeintlich ruhigen und abgelegenen Ostfriesland zu suchen. Hier war anscheinend ein Hotspot des Verbrechens, und hier agierten Leute, die vor den abgefeimtesten Methoden nicht zurückschreckten. Dagegen waren die »Diebe im Gesetz« ja Waisenknaben!
Aber wo war nun sein Wowa? Und wo die Ware? Mitten hinein in seine Rätselei hörte Nicolaj von drauÃen Geräusche. Kein Wunder, mit seinem Geschrei hätte er vermutlich auch den Menschen mit dem gesündesten Schlaf geweckt.
Hastig verstaute er seine Utensilien wieder in seinem Koffer und wischte zur Tür raus.
Der Dunkelheit und dem schweren Atem desjenigen, der da kam, konnte er es verdanken, dass der ihn gar nicht wahrnahm. Leider war es nicht sein Wowa.
38
Ennos Forschergeist und Wissensdurst waren geweckt. Er musste doch irgendwie dahinterkommen, was Focko da getrieben hatte. Vielleicht könnte das sein eigenes Gewissen beruhigen, ein wenig zumindest. Er wollte sich etwas von dem Dünger besorgen und zu Hause eine kleine Versuchsanordnung vornehmen mit den Zutaten aus dem Päckchen. Vielleicht käme er ja posthum Fockos Karriere als Bombenbauer auf die Spur.
Enno betrat die Scheune, leuchtete mit seiner Lampe am Boden umher und senkte den Kopf, um den Blickkontakt mit seiner hängenden Trudi zu vermeiden.
Der Lichtkegel fiel auf den Vorderreifen einer Schubkarre, die vorher noch nicht dort gestanden hatte. Er leuchtete weiter hoch, sah das Folienbündel auf der Karre und hielt inne. War auÃer ihm noch jemand im Schuppen? Wie kam die Karre hierher, und was war da eingewickelt?
Er trat vorsichtig näher heran und entdeckte die aufgerissene Stelle in der Folie. Er ging noch zwei Schritte näher, leuchtete hinein und erschrak. Focko! Wie zum Teufel kam der hierher?
Und wieso war er eingewickelt und hatte ein Luftloch in der Verpackung, das er definitiv nicht mehr brauchte? Wollte Johann ihm irgendetwas damit sagen?
Es war eine Art Jahrzehnte verspäteter Rache gewesen, dass er Focko zu Johann geschafft hatte. SchlieÃlich hatte der seinen kleinen Bruder auf dem Gewissen. Er hatte zwar einerseits nichts dafür gekonnt, war aber andererseits zu leicht davongekommen damals, nach Ennos Ansicht, und entschuldigt hatte er sich auch nie.
Zwischen den einst dicken Freunden herrschte seit jenem Abend vor dem »Sunrise« eisiges Schweigen, kein Wort hatten sie mehr gewechselt seither. Erst hatte sich Johann zurückgezogen, dann war er ganz fortgegangen, und seit er wiedergekommen war, hatte er den Kontakt zu seinen alten Freunden gemieden, eigentlich zu jedem.
Jetzt war das mit Focko passiert, und Enno hatte nicht gewusst, was er tun sollte. Da verfiel er auf den Gedanken, seinem alten Freund Johann einen kleinen Denkzettel zu verpassen oder vielmehr etwas zum Grübeln zu geben. Er sollte sich einfach auch ein paar Gedanken machen, wenn es schon um einen aus ihrer Clique ging, er sollte nicht so tun, als würde ihn alles nichts mehr angehen.
Vielleicht sollte der tote Focko sogar eine kleine Brücke schlagen zwischen den beiden einzigen Ãberlebenden ihrer einst verschworenen Gemeinschaft, aber das hätte Enno niemals zugegeben.
Nun lag der tote Focko also ein zweites Mal vor ihm, ein lebloser Bumerang, eine echte Nervensäge, selbst noch in totem Zustand.
Enno fasste einen Entschluss. Er schlitzte einen Sack Dünger auf, füllte einen kleinen Plastikeimer, lud ihn neben Focko auf die Karre und balancierte seine Fracht zur Tür hinaus.
Er setzte die Karre noch einmal ab, ging zurück in die Scheune, holte aus einer Ecke den umgefallenen Stuhl, an dessen Vorderbeinen Reste von Klebeband hingen, legte ihn auf die
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