Frisch gemacht!
kotzen, so schlecht ist mir auf einmal. Ich setze mich an den Rinnstein. Selbst schuld an allem, Andrea, geht es mir durch den Kopf, du kennst doch deine Mutter. Trotzdem: Dass sie tatsächlich einfach so Dinge wegschmeißt, hätte ich nicht für möglich gehalten. Ich mochte meinen Nachttisch. Gut, dass der wenigstens nicht sprechen kann, das wäre ja oberpeinlich, wenn der auch noch bei seinen Neubesitzern alles aus unserem Liebesleben ausplaudern würde. Da gäbe es schon einiges zu erzählen. Unser Liebesleben hat sich von dem postnatalen Zehenbrand doch noch sehr erholt. Christoph ist ein Mann, der Ordnung in seinem Leben liebt. Auch in amourösen Dingen. Dreimal die Woche steht Sex auf seinem Programmzettel. So wie er zweimal wöchentlich joggt, einmal die Woche Englisch für Juristen an der Sprachschule macht, genauso regelmäßig betätigt er sich im Ehebett. Heike, meine Lesbenfreundin, findet das grauenvoll. »Wo bleibt das Lustprinzip, die Leidenschaft?«, hat sie mich entsetzt gefragt, »auf Kommando ficken, also ich finde das so was von unromantisch. Ich habe es dir gleich gesagt, Juristen sind das Letzte. Sex braucht doch keinen Stundenplan, man treibt’s, wenn es einen danach verlangt.« Da ist natürlich was dran. Aber viele, die Ähnliches propagieren, haben überhaupt keinen Sex mehr. Weil es sie halt nie übermannt. Das Verlangen sich verdünnisiert. Ich kenne Leute, Paare, die seit anderthalb Jahren keinerlei Sex mehr haben. Nicht, dass das tragisch wäre. Es gibt Menschen, denen ist Sex einfach nicht besonders wichtig. Insgesamt ist das bisschen Körperlichkeit wahrscheinlich auch überbewertet. Wenn man Zeitschriften liest und Fernsehen guckt, könnte man tatsächlich
auf den Gedanken kommen, dass wir nichts anderes tun, als von morgens bis abends zu vögeln, oder wenigstens daran zu denken. Wenn man dann Freundinnen fragt, spielt Sex lange nicht so eine große Rolle, wie gemeinhin propagiert. Was ich beruhigend finde. Es nimmt den Druck, Außenseiter zu sein, nur weil man nicht 4 , 9 -mal die Woche rammelt. So wie irgendwelche Statistiken es vom Durchschnittsdeutschen behaupten. Ich glaube sowieso nicht daran, dass viele Paare dermaßen häufig Sex haben. Vielleicht würden sie gerne, rein theoretisch. Aber in Wirklichkeit wird bei dem Thema maßlos übertrieben. Klar, dass die wenigsten bei Umfragen die Wahrheit sagen. Ist ihnen einfach zu peinlich. Wäre mir auch peinlich, von einem jungen Reporter befragt, zugeben zu müssen, dass zwischen mir und meinem Kerl nur Ostern und Pfingsten was läuft. Manchmal auch nur an einem von beiden Feiertagswochenenden. Das wirkt nicht sonderlich attraktiv und lässt einen selbst in schlechtem Licht dastehen. Nach dem Motto: ›Tja, ich bin eben nicht begehrenswert, sondern eine vertrocknete Ziege.‹ Erstaunlicherweise täuscht man sich auch sehr in der Frage, wer wie viel Sex hat. Oft sind die schönsten Paare die enthaltsamsten und die jüngsten keineswegs immer die engagiertesten. Christoph zum Beispiel hat mir erzählt, dass seine Eltern immer noch ein reges Liebesleben haben. »Wenn die auf Reisen sind, da kann der Wohnwagen nachts ganz schön wackeln«, hat der doch glatt gesagt. Die Vorstellung, wie meine Schwiegereltern in spe, Rudi und Inge, ihren Wohnwagen zum Wackeln bringen, ist mir unangenehm. Das Arthrose-Knie von Rudi und die schlechten Hüften von Inge unter einer solchen Belastung. Noch schlimmer allerdings ist der Gedanke, die
eigenen Eltern könnten es tun. Das war mir damals bei Sexualkunde in der Schule das Peinlichste. Die Erkenntnis, dass meine Existenz voraussetzt, dass meine Eltern Sex hatten.
Wenn man meine Geschwister dazurechnet, sogar mindestens dreimal. Grausig.
Ich sitze im Rinnstein und denke an Sex. Mein Nachttisch ist für immer weg, und meine Mutter räumt wahrscheinlich gerade noch ein, zwei Sachen raus. Da lief es im Sender gut, und dann das. Am liebsten würde ich einfach so hier sitzen bleiben. Nach dem Motto: ›Was ich nicht sehe, passiert auch nicht.‹ Wenn ich lange genug hier sitze, wird alles wieder so sein wie zuvor. Aber Pustekuchen. Das Leben ist kein Märchen.
Als ich die Treppe hochkomme, steht meine Grünpflanze vor der Tür. Gut, Grünpflanze ist ein etwas euphorischer Ausdruck für das verkümmerte Teil, aber man soll die Hoffnung ja nie aufgeben. Der grüne Daumen ist leider in unserer Familie nicht gerade sehr verbreitet. Ich muss eine Pflanze nur anschauen, dann verkümmert sie schon.
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