Frisch gemacht!
davor, doch noch aufzustehen und meine Eltern anzurufen. »Was, wenn sie heute Nacht sterben und ich als
Letztes mit ihnen gestritten habe?«, frage ich verzweifelt Christoph. Ob dieses wichtigen Gedankens wälze ich mich sogar noch mal aus dem Bett. Er grinst: »Na, schlechtes Gewissen? Brauchst du doch nicht zu haben. Ist doch alles Kinderkram. Schatzi, so wie deine Eltern drauf sind, werden die den kommenden Morgen auf jeden Fall erleben. Gräm dich nicht. Morgen ruft deine Mutter bestimmt an, und alles wird wieder gut.« Ich bin kurz davor, den Hörer aufzunehmen und noch mal eben durchzuklingeln. Christoph hält mich davon ab: »Du kennst doch die Schlafgewohnheiten deiner Eltern. Wenn du die mitten in der Nacht weckst, sind sie erst recht sauer.« Das stimmt, denn für meine Eltern ist 23 Uhr eindeutig mitten in der Nacht. Meine Mutter geht sogar meistens gegen 22 Uhr ins Bett, und ich entscheide mich, den Anruf zu vertagen. Man muss ja nicht noch eine andere Krisenbaustelle aufmachen. Obwohl ich ja nun wirklich kein schlechtes Gewissen haben muss, schlafe ich unruhig.
Und träume vom Urlaub. Wahrscheinlich, weil ich einen Reinfall mit einem schon gewesenen verscheuchen will. Verdrängung nennen Psychologen das. Oder ist es eher eine Übersprungshandlung? Obwohl, ein Reinfall war der erste Urlaub zu dritt nicht. Aber eben lange nicht das, was wir uns bis dato unter Urlaub vorgestellt hatten. Urlaub mit Kind ist etwas komplett anderes als Urlaub ohne Kind:
Christophs Sonnenbrand hat uns die ersten drei Urlaubstage versaut. Lethargisch vor sich hin leidend liegt der Gnädigste auf seinem Zimmer. Nicht mal zum Essen kann er sich aufrappeln. »Der Gedanke, etwas anzuziehen, ist
reinste Folter«, sagt er, wenn ich ihn ermuntern will, wenigstens zum Abendessen oder Frühstück mitzukommen. Nackt will ich ihn aber auch nicht dabeihaben. Also stelle ich brav kleine Carepakete zusammen und liefere ins Zimmer. Am vierten Tag ist seine Haut wieder so weit in Ordnung, dass er das Zimmer verlassen kann. Im T-Shirt. Die kleinen Brandblasen am Rücken sorgfältig mit Brandsalbe abgedeckt. »Wer seinen Hauttyp so gut kennt«, mehr als diesen Halbsatz muss ich zum Thema Sonne nicht mehr sagen. Wir entscheiden uns, den ersten Tag mit einem halbwegs wiederhergestellten Christoph am Pool zu verbringen. Christoph, das gebrannte Kind, im wahrsten Sinn des Wortes, schiebt mehrere Sonnenschirme zusammen, und wir dösen vor uns hin. Oder besser gesagt, wir versuchen es. Eineinhalbjährigen Kindern geht der Sinn für gemütliches In-der-Sonne-Rumgammeln ab. Als Erstes zieht sie unseren spanischen Liegennachbarn an seinen Haaren. Unangenehm, denn viele hat der eh nicht mehr. Unser Glück, er trägt es mit Fassung. Ich bin beglückt, dass sie nicht versehentlich seinen Brustflokati genommen hat. Aber sie scheint sich nichts aus Brusthaar zu machen. Was mich ganz froh macht, denn wenn schon ein so kleines Mädchen auf derart tierische Merkmale abfährt, lässt das nicht gerade hoffen. Als sie seinen Kopf mit Muscheln dekorieren will, hat der durchaus geduldige Mitdreißiger allerdings genug. Er brummt was auf Spanisch, und die Tonlage reicht. Claudia plärrt los. Abgewiesen werden ist in keinem Alter nett. Warum der sich so anstellt? Frustriert meine geliebte Tochter, dabei hat er nun wirklich nichts Besonderes zu tun. Der tut ja so, als wäre sie mitten in eine Vorstandsitzung geplatzt. Im Umgang mit meinem Kind
neige ich dazu, von fremden Menschen nahezu Unmenschliches zu verlangen. Endlose Geduld nämlich. Die mir allerdings oft genug selbst abgeht.
Ich kann ihm also noch nicht mal richtig böse sein. Schließlich würde es mir auch keinen Spaß machen, Spielobjekt für raue fremde Eineinhalbjährige zu sein. Aber wenn Kinder mal auf jemanden fixiert sind, ist es aus. Ich weiß nicht, ob er ihre erste große Liebe ist oder ob der Mann einen speziellen interessanten Geruch an sich hat, sie will ihn einfach nicht in Ruhe lassen. Zur Ablenkung gehen wir schwimmen. Windel aus, Schwimmhöschen an und die Arme fix in zwei fest aufgeblasene Flügel gestopft. Ich habe eine leichte Ertrinkphobie. Am liebsten würde ich Claudia auch noch einen Ring um den Bauch und zwei Schwimmflügelchen um die Waden machen. Das Wasser ist ziemlich frisch. Für Christoph an der Grenze des Erträglichen. Er nörgelt direkt los: »Ich fühle mich wie in der Gefriertruhe. Auf meiner heißen Haut dieses eiskalte Wasser, das ist ja, also ich kann kaum
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