Frisch gepresst: Roman (German Edition)
verzieht sich Christoph mit seiner Tochter in den Babyraum.
Bei all dem Remmidemmi haben wir Schwester Huberta gar nicht bemerkt. Mit 3 Tabletts steht sie im Raum. »Mittagessen, die Damen«, schallt es uns entgegen, »gute Stimmung haben Sie ja schon, jetzt noch guten Appetit allerseits.« Mit Schmackes lädt sie die Tabletts auf den diversen Nachtschränkchen ab. Inge öffnet nicht mal den Deckel. »Können Sie wieder mitnehmen, mein Mann hat mir Tofu-Schnittchen mitgebracht, mein Yang ist zur Zeit nicht ausbalanciert.« »Hat sonst jemand noch Interesse«, prüft Schwester Huberta die Lage, »bezahlt ist das Freßchen eh schon.« Ich denke an den dürren Christoph und fasse mir ein Herz. »Vielleicht mein Mann«, wage ich einen Vorstoß. Sollte es lecker sein, kann ich es immer noch selbst essen. Ich habe nach dem mickerigen Frühstück einen dermaßenen Kohldampf, daß ich zur Not zwei Essen wegmampfen würde. Schwester Huberta hat ein Herz für Lebensgefährten. Sie plaziert das zweite Tablett, das von Inge sichtlich angeekelt beäugt wird, neben meinem Bett auf den Fußboden und trollt sich. Nicht, ohne uns mitzuteilen, daß wir nachher die Kleinen baden werden. Unter Aufsicht natürlich. »Sind die denn schon dreckig, und wenn ja, wovon denn«, will ich erkunden, aber die Frage hört die Gute schon gar nicht mehr. Voller Spannung sehe ich einem der Krankenhaushöhepunkte entgegen: dem Essen. Runter mit dem Deckel und ich bin beglückt. Kartoffeln, Ei und Spinat. Kein Blattspinat, sondern das matschige, grüne Zeug, das es schon bei Mutti gab. Rahmspinat. Bolle lecker. Ein Essen, für das ich fast alles andere stehenlassen würde. Eine Delikatesse. Gut, daß Christoph sich immer noch im Nebenraum mit unserer Tochter abmüht und ich mein großherziges Angebot noch nicht gemacht habe. Eben entbundene Mütter brauchen enorme Portionen Eiweiß. Wer würde das nicht verstehen? Nur Unmenschen. Leider hat auch Inge inzwischen einen Blick auf mein Essen geworfen. Die Gier steht ihr in den Augen. »Ich esse es doch«, ihre lapidare Erklärung, und pflichtbewußt bückt sich ihr Gatte Sebastian, um das Tablett, das ja mittlerweile eigentlich zu meinem Besitz gehört, wieder auf Inges Nachtschränkchen zu räumen. Die hat nicht mal einen Funken Anstand, diese Müsli-Trulla. Geschenkt ist geschenkt, will ich sie anherrschen und: Weggegangen, Platz gefangen. Die elementarsten Spielregeln der Welt scheinen für Frau Müller-Wurz keine Gültigkeit zu haben. »Ob dein Yang davon wieder ins Lot kommt, wage ich zu bezweifeln«, versuche ich alles zur Errettung meiner zweiten Portion. »Mit den Tofu-Schnittchen zum Nachtisch kann alles noch ausgeglichen werden«, feixt sie zurück und beginnt in den Kartoffeln rumzumatschen. Ich bin konsterniert und frustriert. Hexe. Wenn die noch mal was von mir will, dann Gnade ihr, wer auch immer. Mein böser Blick scheint ihr total egal. Nach 3 Bissen und einem unsäglichen Gerühre legt sie die Gabel wieder hin. »Ich glaube, so gut bekommt mir das doch nicht. Sebastian, reich mir die Tofu-Schnittchen«, kommandiert sie ihren Ehemann. »Willst du den Rest«, fragt sie mich scheinheilig, als gäbe es nichts Schöneres, als ihr eingespeicheltes, zermatschtes Zeug zu essen. Das hat die doch extra gemacht. Ätschi, was ich nicht kriege, soll auch kein anderer haben. So niedere Beweggründe hätte ich einer Müsli- und WG -Liesel nicht zugetraut. Fiese, selbstsüchtige Qualle. Obwohl ich normalerweise nicht gerade pingelig mit solchen Sachen bin.
Wer Angst hat vor Keimen und ähnlichem, sollte niemals im Restaurant essen. Könnten die Gäste sehen, was in durchschnittlichen Lokalen in der Küche stattfindet, würden Sauberkeits- und Hygienefanatiker keinesfalls mehr außerhalb ihrer eigenen vier Wände irgendwelche Nahrung zu sich nehmen. Wer das für übertrieben hält, hat nie in der Gastronomie gearbeitet. Ich habe gekellnert und weiß, was Sache ist. Besteck nicht einwandfrei: kein Problem. Schnell mal mit dem Finger drübergegangen. Pommes auf den Boden gefallen, na und: dann werden sie eben aufgehoben und wieder adrett auf dem Teller geordnet. Ich will niemandem den Appetit verderben, aber was da abgeht, ist nichts für Menschen mit schwachem Magen.
Trotzdem: Inges angesabberten Spinat lehne ich ab. Ab und an siegt mein Stolz doch noch über meine Gier. Leider zu selten. Aber wem geht das nicht so? Ich werfe ihr einen beleidigten Blick zu und vertiefe mich in meine eigene Mahlzeit.
Weitere Kostenlose Bücher