Frisch gepresst: Roman (German Edition)
wird das gute Geschirr noch mit der Hand gespült. Beim ersten Kaffeetrinken habe ich aus purer Höflichkeit angeboten abzutrocknen (was tut man nicht alles, um einen guten Eindruck zu machen), und dabei ist es geblieben. Die Herren der Schöpfung sitzen im Wohnraum und philosophieren über die Lage der Nation, und ich stehe mit Inge in der Küche und kümmere mich ums gute Geschirr. Das aber, wie Inge gerne mal betont, »auch noch tadellos in Schuß ist«. »Von nix kommt ebe aach nix«, weiß die Inge. Zum Thema »Marita« hat sie sich erst nach einigen Wochen des Kennenlernens geäußert. Es war ein sanftes Herantasten ans Unangenehme. »Kennst du eischentlich die frühere Bekannte vom Christoph, diese, na, wie haßt se noch, die, die na ah, die Marita?« So, als ob sie sich kaum mehr an den Namen der verhaßten Person erinnern könnte. Angespannte Pause und erwartungsvolles Gesicht. Mein »Nee, kenn ich nicht« hat sie sichtlich erheitert. Nach dem Motto: Wenigstens verkehren sie nicht mehr gesellschaftlich. Also, in irgendeiner Form öffentlich. Ich glaube, die Vorstellung, ihr Sohnemann könnte mit Marita auch noch ganz anders verkehrt haben, ist Inge nicht nur fremd, sondern auch total entsetzlich. Abstoßend geradezu. Aber so direkt ist eine Frau wie Inge nicht. Sie würde nie sagen: »Die Marita, das war ja wohl die ätzendste Ziege, die mir mein Bub je ins Haus gebracht hat. Eine Frau zum Abgewöhnen.« So was ist nicht Inges Stil. Verbindlichkeit ist das, was im Leben zählt, findet meine Fast-Schwiegermutter. Und eins muß man ihr lassen, sie handelt auch danach. Deshalb entschließt sie sich zu dem denkwürdigen Satz, ich sei ja »viel netter und soviel fraulicher als die Marita«. Wer Inge kennt, weiß, daß sie sich damit für ihre Verhältnisse schon gigantisch aus dem Fenster gelehnt hat. Verbal gesehen. Das »netter« hat mich dann auch wirklich gefreut. Das »fraulicher« weniger. Fraulicher hat so was von rundlicher. Oder schlicht dicker. Ob es so schmeichelhaft ist, dicker als meine Vorgängerin zu sein, also, ich weiß nicht. Nicht, daß Inge was an den Augen hätte: Ich bin eindeutig dicker als Marita. Die hat nämlich, beneidenswerterweise, eine Figur wie Nadja Auermann. Ich dagegen werde wahrscheinlich mein ganzes Leben dagegen ankämpfen, irgendwann verschämt bei Ulla Popken »Mollig bis dick, aber chic« einzukaufen. Eine Ladenkette, die Menschen wie Marita nicht mal kennen. Wozu auch?
Mit dem sicher nett gemeinten Sätzchen darüber, »wieviel fraulicher ich bin«, hat mich Inge fast in die Depression gestürzt. Ohne es auch nur zu ahnen. Oder zu beabsichtigen. Inge ist keine dieser Hinterfotzigen, die kaltlächelnd mit einem Kompliment den Todesstoß versetzen. Nichts läge Inge ferner. Sie käme überhaupt nicht auf die Idee, daß ich Figurprobleme haben könnte. Sie selbst sieht aus wie ein kleiner, gut aufgegangener Hefeteig, der, in bunte Kittelschürzen gehüllt, auch ruhig noch ein bißchen weiter gehen darf. Außerdem war sie sich sicher, daß eine Person wie diese Marita auf jeden Fall magersüchtig ist. Da hat Inge mal was drüber gelesen und sofort bemerkt, daß Marita eine der Betroffenen ist. Viel milder hat sie das allerdings auch nicht gestimmt. Schließlich hat auch ihr Rudi was mit dem Magen und kann sich trotzdem benehmen. Krankheit ist keine Entschuldigung für alles, findet Inge und hat damit irgendwie sogar recht.
Wenn man die beiden beschreiben wollte, könnte man sagen: »Ein älteres Pärchen in einem Loriot-Film mit hessischer Besetzung« und hätte damit eine ziemlich treffende Beschreibung von Inge und Rudi.
»Mer habe es kaum ausgehalte deheim«, schreit mir Inge während einer herzlichen ersten Umarmung ins Ohr, »abä de Christoph hat uns verbote, vor heut hier uffzukreuze, abä jetzt endlisch sin mer da, Herzscher.« Und während sie mich ein zweites Mal überschwenglich drückt, darf Rudi, kaum sichtbar hinter seiner drallen Inge, schon mal die Mitbringsel auf dem Nachttisch ausbreiten. »Hat die Mutti ausgesucht«, stammelt er verlegen. Und in seiner ruhigen Art folgt eine Gratulation. Rudi spricht nicht arg viel. Wie soll er auch? Wo doch Inge schon alles sagt. Und das viel schneller und lauter. Außerdem kennt sie ihren Rudi so gut, daß sie im Endeffekt eh besser weiß, wie es ihm geht oder was er denkt. »Wenn mer warte, bis der Rudi sa Gedanke ausformuliert hat, wern leider net mer alle unter uns weile«, pflegt sie mitunter recht scharf auf Kritik
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