Frisch gepresst: Roman (German Edition)
glatte 1, aber man will die Herren ja nicht zu sehr verwöhnen. Und nach oben in der Skala noch Platz lassen. Die Inge könnte es an guten Tagen, nicht gerade im Wochenbett, da will ich mal fair sein, vielleicht auf eine 3 schaffen. Okay, eine 3+. Welche Diskrepanz. »Wo hast du den denn her?« will es neidisch aus mir rausplatzen, aber ich reiße mich zusammen und schaue gebannt auf das Schauspiel neben mir. Leidenschaftlich umarmt er Inge, und so, wie er ihr die Zunge in den Rachen schiebt, kann es kaum der Bewährungshelfer sein. Eher ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt, der die akute Situation von Inges Mandeln überprüfen muß. Nach bestimmt einer Viertelstunde ausgiebiger Schmuserei stellt sich das Prachtexemplar auch noch höflich vor. »Sebastian Wurz, ich bin der Mann von der Inge und der Papa vom phantastischsten Baby dieser Station, vom Konstantin Samuel David. Nett, dich kennenzulernen.« Zu mehr als einem »Andrea Schnidt, auch begeistert« langt es bei mir nicht. Ich bin so verdattert, daß ich keinen geraden Satz mehr herausbekomme. Nachdem der Gatte von Inge diverse Geschenkpakete und Tupperschüsselchen ausgebreitet hat, unterrichtet ihn seine Inge über die neusten Krankenhausvorkommnisse. »Normalerweise würden wir niemals in einem so konventionellen Schuppen wie dieser Klinik entbinden«, klären die zwei mich netterweise auf. »Natürlich wollten wir eine Hausgeburt, mit der ganzen WG , so ein großes, glückliches Happening. Alle hatten sich schon riesig gefreut, bis uns die Ärztin einen Strich durch unsere Planung gemacht hat. Risikogeburten gehören ins Krankenhaus, hieß es; und da hat auch unsere Hebamme gekniffen. Obwohl wir daheim schon alles zurechtgemacht hatten. Und das nur, weil Inge schon 37 ist. Eben reifer als andere Erstgebärende. Eine bewußte Schwangere. Aber wenigstens haben wir alles auf Video aufgenommen und können es der WG dann komplett vorführen.«
Das würde mir noch fehlen. Ein Geburtsvideo. Wie peinlich. Wer soll sich denn so was angucken? Die Kollegen? Die Familie? Meine Mutter würde mich einliefern lassen, wenn ich sie zu einem gemütlichen Geburtsvideoabend einladen würde. In die Psychiatrie. Und meine Freundinnen will ich auch nicht lebenslang traumatisieren. Alles, was recht ist. Dagegen ist ja ein Horrorfilm, wie »Kettensägenmassaker im Kindergarten«, eine harmlose Angelegenheit. So ’ne Art Sesamstraße. Daß Claudia später gerne sehen will, wie mühevoll ich sie mir rausgequetscht habe, wage ich auch zu bezweifeln. Vielleicht als Beweis. Was ich mir mit ihr schon für eine unglaubliche Mühe gegeben habe. Für die Zeiten, in denen die lieben Kleinen nicht mehr lieb und klein, sondern nur noch undankbare, fiese Monster mit Pickeln sind, die nichts mehr ersehnen, als schnellstmöglich auszuziehen. Früher hatten Eltern ja hauptsächlich verbale Argumentationsmöglichkeiten. Aber als Demonstration der Plackerei so ein blutiges Video wäre schon was. Auch wenn man dem pickeligen Etwas danach die Therapie bezahlen muß. Nein, ein Geburtsvideo ist definitiv nichts für mich. Männer stellen sich ja sowieso wenig geschickt bei der Entbinderei an. Jedenfalls Christoph. Mit anderen habe ich ja noch nicht entbunden. Aber da Christoph im normalen Leben, jenseits des Kreißsaals, schon zu den gehobenen Modellen gehört, möchte ich die anderen gar nicht erst erleben. Wenn sie dabei auch noch filmen sollen, na danke schön. Wenn Christoph zusätzlich zu dem Wischläppchen auch noch eine Videokamera gehabt hätte – ich will nicht wissen, was das für ein Film geworden wäre. Sebastian Müller-Wurz sieht das total anders. »Kollektiv haben wir die Eröffnungsphase gestern abend zu Hause noch mal durchhechelt, ein irrsinniges Erlebnis, und als Konstantins Nabelschnur durchgeschnitten wurde, haben wir uns bei den Händen genommen und gesungen. Mir lief’s eiskalt den Rücken runter.«
Mir auch, allein bei der Erzählung. Inge, die sonst ja selten die Klappe halten kann, sitzt andächtig im Bett und himmelt ihren Sebastian an. »Wir haben dann alle für dich und den Konstantin Samuel David meditiert«, berichtet er Inge voller Freude, und die kann vor Begeisterung die Tränchen kaum zurückhalten.
Christophs Erscheinen erlöst mich aus meiner Voyeursrolle, und ich kann den detailgenauen Bericht über den vegetarischen Öko-Reis-Gemüseauflauf nicht weiter verfolgen. Wie er da so ins Zimmer stapft, mit dem gleichen Strahlen auf dem Gesicht wie vor einer halben Stunde
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