Frisch getraut: Roman (German Edition)
fahren.«
»Du brauchst einen neuen Wagen?«
»Ja, der Lincoln hat gerade die fünfzig überschritten.«
»Du hast einen fünfzig Jahre alten Lincoln?«
»Nein.« Leo schüttelte den Kopf. »Nein. Der Tacho hat grad fünfzigtausend Meilen überschritten. Ich kauf mir alle fünfzigtausend Meilen einen neuen Town Car.«
Ach ja? Sein Landcruiser hatte über siebzigtausend auf dem Buckel, aber er konnte sich nicht vorstellen, ihn einzutauschen. So materialistisch war er nicht. Außer wenn es um Armbanduhren ging. Er liebte teure Uhren mit allen Schikanen. »Brauchst du Gesellschaft?«, hörte er sich fragen. Auf neutralem Boden Zeit mit seinem alten Herrn zu verbringen, könnte genau das Richtige für die beiden sein. Vielleicht beim Fachsimpeln über Autos eine bessere Vater-Sohn-Beziehung aufbauen. Könnte Spaß machen.
Die Eichhörnchen keckerten weiter in der Stille. Dann antwortete Leo: »Klar. Wenn du Zeit hast. Ich hab vorhin dein Handy klingeln hören und dachte, du hast vielleicht zu tun.«
Bei dem Anruf war es um einen Artikel für ein großes Nachrichtenmagazin gegangen, über den er und der Chefredakteur schon vor Monaten gesprochen hatten. Inzwischen war er sich gar nicht mehr so sicher, ob er überhaupt in ein Flugzeug steigen und nach Rajwara in Indien fliegen wollte, um über eine
Schwarzfieber-Epidemie zu berichten. Die konventionellen Behandlungsmethoden in diesem Teil der Welt hatten Parasiten hervorgebracht, die gegen Medikamente resistent waren, und wirkten nicht mehr. Die vorhergesagte Zahl der Todesopfer betrug an die zweihunderttausend weltweit.
Bei der Vorbesprechung mit dem Redakteur war ihm das Thema wichtig vorgekommen, aufregend. Wichtig war es immer noch, sehr sogar, doch inzwischen war er nicht mehr so scharf darauf, die abgehärmten, hoffnungslosen Gesichter zu sehen und das Leid mitzuerleben, das aus den Hütten drang, wenn er durch die staubigen Straßen lief. Er verlor das Feuer, die Story zu erzählen, und er wusste es.
»Ich hab ein paar Stunden nichts zu tun«, sagte er, und die beiden gingen zum Kutschenhaus. Er spürte, wie die Leidenschaft für seine Arbeit abkühlte, und das machte ihm furchtbare Angst. Wenn er kein Journalist war, der Storys nachjagte und Hinweisen nachging, wer zum Teufel war er dann? »Wo willst du dich, abgesehen vom Lincoln-Autohändler, sonst noch umschauen?«
»Nirgends. Ich war schon immer ein Lincoln-Fan.«
Sebastian dachte an seine Kindheit zurück und erinnerte sich an das Auto, das sein Vater damals gefahren hatte. »Du hattest einen Versailles. Zweifarbiges Braun mit sandfarbenen Ledersitzen.«
»Rehbraun«, korrigierte Leo ihn, als sie an einem Marmorbrunnen mit einem Putto vorbeikamen, der in eine Muschelschale pinkelte. »In dem Jahr war das Leder rehbraun. Der zweifarbige Lack war rehbraun und zimtfarben.«
Sebastian lachte. Wer hätte gedacht, dass sein Vater der Rain Man der Lincolns war? Der BlackBerry, der an seinem Gürtel
festgehakt war, klingelte, und er blieb draußen, um das Gespräch entgegenzunehmen, während sein Vater ins Kutschenhaus ging, um sich umzuziehen. Ein Produzent vom History Channel wollte wissen, ob er bereit wäre, sich für einen Dokumentarfilm über die Geschichte Afghanistans interviewen zu lassen, den sie gerade zusammenstellten. Sebastian sah sich nicht als Experten für afghanische Geschichte. Schon eher als Beobachter, doch er willigte ein, und das Interview wurde für nächsten Monat angesetzt.
Eine halbe Stunde nach Ende des Gesprächs waren er und sein Vater auf dem Weg zum Autohändler. Leo hatte sich in einen marineblauen Anzug und eine Krawatte mit dem Tasmanischen Teufel Taz darauf geschmissen. Sein graues Haar war an den Kopf angeklatscht, als hätte er sich mit einem Schweinekotelett gekämmt.
»Wozu der Anzug?«, fragte Sebastian, als sie durch Fairview am Rocky’s Drive Inn vorbeifuhren. Eine Bedienung mit einem Tablett über dem Kopf skatete im kurzen Röckchen an einer Autoreihe entlang.
»Verkäufer respektieren einen mehr, wenn man Anzug und Krawatte trägt.«
Sebastian musterte seinen Vater. »Aber keine Loony-Toons-Krawatte.«
Leo warf ihm einen beleidigten Blick zu und richtete seine grünen Augen wieder auf die Straße. »Was ist falsch an meiner Krawatte?«
»Da ist eine Comic-Figur drauf«, erklärte er.
»Na und? Das ist eine tolle Krawatte. Viele Männer tragen solche Krawatten.«
»Sollten sie aber nicht«, murmelte Sebastian und schaute
aus dem Fenster auf der
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