Frisch verliebt - Mallery, S: Frisch verliebt
Ein kurzer Blick auf die Uhr sagte ihr, dass seit ihrer Ankunft weniger als zwei Stunden vergangen waren. Das erschien ihr geradezu unmöglich, denn sie fühlte sich, als hätte sie tagelang gearbeitet.
Ihr Handy klingelte. Claire zog es aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display. Schon wieder Lisa. Der Anruf konnte nichts Gutes bedeuten. Also stellte sie das Telefon ab und schob es zurück in die Tasche.
Zweifellos würde Nicole wieder irgendeinen schnippischen Kommentar zu ihrer Panikattacke abgeben, aber Claire beschloss, sich nichts daraus zu machen. Sie hatte es geschafft, sich da durchzuarbeiten, und war auf der anderen Seite heil herausgekommen. Für sie war es der erste Sieg seit Langem, und das konnte ihr niemand mehr nehmen.
5. KAPITEL
C laire wärmte das letzte Außer-Haus-Gericht auf, das Wyatt vorbeigebracht hatte, und während sie darauf wartete, dass die Mikrowelle ihre Arbeit tat, hatte sie die Hände auf den Küchentresen gelegt und die Augen geschlossen. Dabei begannen ihre Finger sich auf dem kühlen Granit zu bewegen, ohne dass sie es eigentlich beabsichtigt hatte. Im Geist allerdings spielte sie die Noten und hörte die Musik. Der Klang erfüllte sie, bis ihr Körper leicht wurde und zu schweben schien.
Das Klingeln der Mikrowelle riss sie in die Realität zurück, die Realität, in der sie nicht mehr Klavier spielte, keinen Unterricht mehr nahm oder erteilte, oder überhaupt noch in diese Welt passte.
Sie vermisste das Klavierspiel. Ziemlich verrückt, wenn man bedachte, dass sie das verdammte Instrument kaum ansehen konnte, ohne eine Panikattacke zu bekommen. Aber vielleicht war es ja auch weniger das Klavier, das sie vermisste, als vielmehr das Gefühl, sich in der Musik zu verlieren, sich selbst in der Fülle des Klangs vergessen zu können. Nicht zuletzt hatten Üben und Spielen schließlich ihr Leben ausgemacht, und wie jemand, der sich das Rauchen abgewöhnt, hatte auch sie ihre alten Gewohnheiten noch nicht ablegen können, selbst wenn es dabei keine physische Abhängigkeit gab.
Sie schielte in Richtung der Treppe, die in den Keller führte, und während sie einerseits zwar keineswegs noch einmal dort hinuntergehen wollte, sollte sie sich andererseits doch zumindest um das Klavier kümmern. Das Instrument konnte schließlich nichts für ihre seelischen Probleme.
Nachdem sie kurz nach Nicoles Abendessen gesehen hatte, nahm sie sich also ein Telefonbuch zur Hand und suchte nach Klavierstimmern. Sie musste drei verschiedene Nummern anrufen, bis sie schließlich jemanden gefunden hatte, der noch in dieser Woche kommen wollte, um das Klavier zu stimmen. Als das erledigt war, stellte sie den Teller auf ein Tablett, eine Kanne Kräutertee und etwas Brot dazu und trug dann alles nach oben.
Nicoles Tür stand offen, also trat Claire ein und lächelte ihrer Schwester zu. „Ich dachte, du könntest allmählich Hunger haben, deshalb habe ich dir heute etwas mehr mitgebracht als gestern Abend. Wie geht es dir?“
Nicole lag auf der Tagesdecke. Irgendwann hatte sie sich tagsüber eine andere Jogginghose und ein neues T-Shirt angezogen. An den Füßen trug sie dicke Socken und die Farbe war wieder in ihr Gesicht zurückgekehrt.
„Mir geht’s gut“, sagte sie.
„Wie schön.“
Claire stellte das Tablett ab. „Das ist der Rest von dem Essen. Morgen werde ich etwas anderes besorgen.“
„Du kochst?“
„Uh, nein. Ich dachte vielleicht eher an etwas Chinesisches.“
Nicole sagte nichts, was bei Claire aber doch das Gefühl hinterließ, wieder einmal versagt zu haben. Sie hatte vom Kochen einfach keine Ahnung. Wann denn hätte sie auch die Zeit dazu haben sollen?
Sie sagte sich zwar, dass sie sich bei niemandem für ihr Leben entschuldigen musste, konnte sich aber gegen das Gefühl nicht wehren, wieder einmal geprüft und nicht für gut befunden worden zu sein.
Nicole zog sich das Tablett auf den Schoß und sah dann zu Claire hoch.
„Danke, dass du heute Morgen in der Bäckerei ausgeholfen hast. Da war ja heute die Hölle los.“
Eifrig kam Claire auf sie zu. „Es war unglaublich, wie viele Leute da waren. Ein richtiger Massenauflauf. Alles ging so schnell. Ich fand es ganz schön schwierig, mit der Registrierkasse klarzukommen, aber gegen Ende des morgendlichen Ansturms wusste ich dann so ungefähr, was ich da tat.“
Sie hatte es überstanden, und das war alles, was zählte. Jede Herausforderung würde sie nur stärker machen.
„Ich habe gehört, dass du eine Art
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