Frisch verliebt - Mallery, S: Frisch verliebt
zu stehlen und den Kuchen auf diese Weise zu verkaufen.“
„Ich habe nichts gestohlen“, wiederholte Jesse dickköpfig. „Was hätte ich denn tun sollen? Sie hat mich aus meinem Heim geworfen. Ich wusste nicht, wohin ich sollte. Jetzt wohne ich in einer schäbigen Einzimmerwohnung und habe mir in einem Restaurant morgens von drei bis zehn den Platz gemietet. Ich backe die Torten, und ja, ich verkaufe sie. Welch ein Verbrechen. Alle meine Kunden kommen eh aus anderen Bundesstaaten, ich nehme der Bäckerei also nichts weg.“
„Und was ist mit dem, was du Nicole weggenommen hast?“
Jesse sah aus dem Seitenfenster. „Jetzt stellst du dich auf ihre Seite. Das passt.“
„Ich stelle mich auf die Seite von niemandem. Es gibt keine Seiten. Es gibt nur uns. Drei Schwestern, die anscheinend nicht miteinander klarkommen.“
„Ihr kommt doch miteinander klar, du und Nicole. Das sollte dir reichen.“
„Ich ergreife für niemanden Partei“, wiederholte Claire. „Jedenfalls nicht direkt.“
„Das sieht aber ganz danach aus. Mir ist es gleich. Ich brauche keine von euch beiden.“
Claire war traurig und enttäuscht zugleich. Wie war es nur möglich, dass Jesse nach dem, was sie getan hatte, das Problem nicht erkannte? Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass sie mit Drew geschlafen hatte, gleich darauf hatte sie alles noch weiter verkorkst.
„Warum willst du Nicole eigentlich ständig verletzen?“, fragte sie. „Ich dachte, dass dir etwas an ihr liegt.“
Jesse kreuzte die Arme vor der Brust. „Das ist auch so. Aber ich habe keine andere Wahl.“
„Keine besonders gute Entschuldigung.“
Nun richtete Jesse sich gegen Claire. „Du weißt gar nichts von mir. Du hast doch keine Ahnung davon, was ich durchmache. Matt hat von dieser ganzen Geschichte mit Drew gehört, und auch er will mir nicht zuhören. Ich weiß ja, dass ich vorher Mist gebaut habe, aber diesmal ist es anders.“
So sehr viel anders klingt es aber nicht, dachte Claire grimmig. „Ich weiß nur, dass du ein paar schlechte Entscheidungen getroffen hast und jetzt alles daransetzt, die Konsequenzen zu vermeiden.“
„Hör auf damit. Du weißt doch gar nichts. Du hast alles und ich habe nichts. Du hast kein Recht, zurückzukommen und mir zu sagen, was ich tun soll.“
Jesse öffnete die Tür und stieg aus dem Wagen. Claire stellte den Motor ab und folgte ihr. Sie hatten den Parkplatz vor dem Polizeigebäude nicht einmal verlassen. Hätten sie nicht wenigstens ein paar Meilen zurücklegen können, bevor es zum Ausbruch kam?
„Jesse, tu es nicht.“
Jesse drehte sich zu ihr um. „Was soll ich nicht tun? Soll ich nicht im Weg stehen? Soll ich keine Katastrophe mehr sein? Mein ganzes Leben lang habe ich Nicole Schwierigkeiten bereitet. Ich bin der Grund dafür, dass sie nicht tun konnte, was sie wollte. Meinetwegen konnte sie Seattle nicht verlassen, nicht zum College gehen oder was sonst noch. Glaubst du, ich weiß das nicht? Glaubst du, das macht mich glücklich?“
„Und warum verletzt du sie dann ständig?“
„Das tue ich ja gar nicht“, brüllte Jesse. „Verschwinde. Lass mich in Ruhe.“ Dann ging sie los.
„Warte. Ich fahre dich nach Hause.“
„Ich kann den Bus nehmen. Das habe ich früher auch getan.
Jesse zog den Mantel fester um sich zusammen und lief über die Straße auf die Bushaltestelle zu. Claire setzte sich wieder ins Auto. Was sollte sie jetzt tun? Mit solchen Situationen hatte sie keinerlei Erfahrung. Sollte sie Jesse auffordern, ins Auto zu steigen? Dazu würde sie sie ja wohl kaum zwingen können.
Noch bevor ihr etwas einfiel, fuhr ein Bus vor und Jesse stieg ein. Claire sah ihr nach, wie sie davonfuhr. Sie fragte sich, wie es mit ihnen so weit kommen konnte und wie viel Hoffnung bestand, dass sie alle drei irgendwann einmal miteinander auskommen würden.
Am nächsten Morgen sagte Nicole beim Frühstück: „Am Freitag wird Amy bei uns übernachten. Es ist mal wieder Zeit für Wyatts alljährliche Selbstgeißelung.“
„Wovon redest du?“, fragte Claire.
„Jedes Jahr begeht er den Jahrestag, an dem Shanna ihn verlassen hat, indem er sich völlig betrinkt und sich daran erinnert, warum romantische Beziehungen bei ihm niemals funktionieren können. Ist wohl so was typisch Männliches, denn ich kann darin keinen Sinn erkennen. Zum Glück will er nicht, dass Amy irgendetwas von dieser Veranstaltung mitbekommt, deshalb nehme ich sie dann zu mir, und wenn er wieder nüchtern ist, kommt er sie
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