Frische Spur nach 70 Jahren
was natürlich
Heuchelei ist. Und die Medien — vor allem die sogenannten Talkshow-Moderatoren
— suhlen sich darin wie Schweine im Schlamm.“
„Medienschlamm!“, nickte Tim.
„Hast völlig Recht, Gaby. Und Sie auch, Frau Nocke. B & C von 1929
sind vergessen, dieses schwarze Kapitel aus Ihrer Familiengeschichte ist
abgeschlossen. Die Tagebücher gehören nicht in die Öffentlichkeit. Und wir —
TKKG — garantieren Ihnen, dass von uns niemand was erfährt. Ausgenommen die
Polizei.“
Mit dieser Zusicherung war die
Malerin zufrieden.
Alle stiegen die Treppe hinauf
— in die obere Etage und dann weiter ins Dachgeschoss, dessen eine Hälfte das
Atelier einnahm. Nebenan war der Dachboden wie in alter Zeit. So roch er auch:
nach trocknem Holz, dem Leder der Koffer, dem liebenswerten Plunder, von dem
man sich nicht trennen will, und den umhüllten Kleidungsstücken, die nie wieder
getragen werden, dennoch nicht in der Altkleidersammlung landen — weil zuviel Erinnerung
an ihnen hängt: Konfirmation/Kommunion, Tanzstunde, der erste Ball, festliche
Ereignisse zu denen man geladen war, vielleicht auch das Hochzeitskleid und das
— letzte Ballkleid. Reliquien also: Überreste, kostbares Andenken,
gefühlsbehaftete Zeugnisse vom Lebensbogen der Menschen.
Tim sieht sich gern auf fremden
Dachböden um. Das gibt soviel Aufschluss. Gaby teilt das Interesse, hat aber
eine natürliche Scheu vor fremden Geheimnissen.
Darüber brauchte sie sich jetzt
freilich kein Gewissen zu machen, denn Hilde öffnete ihnen die Tür, trat auf
den Dachboden und schaltete die Deckenleuchte an. In dem Dämmerlicht hätten sie
sich schwer zurechtgefunden, denn der Tag drang nur durch eine kleine Glasluke
herein.
„Vorsicht, Amigos!“, warnte
Karl. „Hier steht auch wertvolles Porzellan. Das... Nanu, wo ist es denn?“
„Nicht mehr da“, sagte Hilde.
„Gestohlen.“
„Gestohlen?“, staunte Karl.
„Als ich damals vor fünf Jahren hier... also, da war’s noch vorhanden.“
Hilde nickte. „Meißner
Porzellan. Der Stolz meiner Mutter. Mein Ding ist das nicht so. Aber natürlich
hatte ich’s aufbewahrt und nicht etwa verkauft. Naja.“ Sie seufzte.
„Wer hat es gestohlen?“, fragte
Tim.
„Der Einbrecher. Im August
vorigen Jahres hatten wir hier einen Einbruch. Ich war nicht da, mein Enkel
Klaus auch nicht. Der Einbrecher hatte Zeit, sich umzusehen. Meinen Schmuck hat
er mitgenommen, 1200 Mark, zehn alte und sehr wertvolle Schallplatten.
Sammlerstücke. Mit Arien von Caruso. Und hier oben war der Kerl — der
Einbrecher — auch. Das ganze Porzellan wurde seine Beute. Er muss ziemlich
schwer geschleppt haben, als er abzog.“
„Das tut uns Leid“, sagte Gaby.
„Ist er gefasst worden?“
„Leider nicht.“
Tim beobachtete Karl, der jetzt
zielstrebig in eine der hinteren Ecken ging und sich unter die Dachschräge
bückte.
Der Platz dort war ausgefüllt
mit Kisten, Kartons und einigen Koffern.
Karl suchte. Die andern traten
näher.
„Tante Hilde“, Karls Stimme
klang beunruhigt, „wo ist denn der kleine Koffer mit den vielen Aufklebern?“
„Er muss dort... Dort muss
er... Da hat er immer gestanden.“
Karl nickte. „Ja, hier! Exakt
hier!“
Er deutete auf den flachen
Deckel einer großen Kiste. Eine Staubschicht hatte sich gebildet — was man auf
einem Dachboden nicht als Mangel an Sauberkeit deuten darf. Ein größeres
Viereck — etwa von den Maßen eines mittleren Handkoffers — war allerdings
nahezu staubfrei. Dort hatte der Koffer gestanden.
Jetzt war er weg.
„Um Himmels willen!“, flüsterte
Hilde.
Karl suchte bereits unter und
hinter den anderen Stücken, aber vergeblich.
„Er ist weg, Tante Hilde. Auch
den hat der Einbrecher geklaut. So ein Mist! Sicherlich hat ihn der Kerl
gebraucht zum Transport der übrigen Beute. Und dabei sind auch die Tagebücher
in seine Hände gefallen — so ganz nebenbei.“ Hilde rang nach Luft. „Bisher...
habe ich das gar nicht bemerkt. Hier schien nichts zu fehlen. Man guckt ja
nicht in jede Ecke.“
„Jetzt sind wir gelackmeiert“,
meinte Klößchen. „Einerseits“, schnappte Tim. „Andererseits zeichnet sich eine
ultra-heiße Spur ab. Es passt zusammen. Der Einbrecher — ein Krimineller! B
& C-Aktuell — gleiches Kaliber. Und wer sagt denn, dass der Einbrecher
allein war? Vielleicht hat ihn seine Freundin begleitet oder sie stand
Schmiere. Später haben sich die beiden in die Lektüre vertieft und plötzlich
eine nostalgisch-kriminelle Neigung in
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