Frische Spur nach 70 Jahren
kühlen
Grunde... ’, gesungen von 18 Schülern und zwei Paukern — mit dünnen,
angstvollen Stimmen.
*
Beate und Claus hatten zwei
große Kanister mitgebracht. Sie enthielten Xoruxothol, das bekanntlich 100 mal
feuergefährlicher ist als ein lava-speiender, aktiver Vulkan.
Die stinkende Flüssigkeit wurde
im Parterre ausgekippt: in den Klassenräumen und im Flur.
Claus stellte den Zünder auf,
einen alten Wecker mit angebastelter Vorrichtung. Das Gerät war auf 12.30 Uhr
gestellt. Dann würde die umgebaute Mechanik kein, Guten-Morgen!-Aufstehen!-Geklingel auslösen, sondern Funken — Funken wie beim Feuersteinschlagen.
„Ein Funke im Xoruxothol
genügt“, sagte Claus, „und ein Flammenmeer schwappt durch die Räume.“
„Perfekt!“, piepste Beate und
nickte heftig.
„Alles wie damals. Wie bei
unseren wunderbaren Vorbildern.“
„Wie damals. Man müsste die
Zeit zurückdrehen können.“
„Wir machen es ja. Auf unsere
Weise.“
Der Wecker tickte. Die beiden
verließen das Pfarrhaus.
8. Schlimme
Entdeckung
Nervenzerreißend!, dachte Tim
und legte den Hörer auf. Jetzt habe ich 24 Kindergärten angerufen. Ergebnis:
meistens total tote Hose, manchmal ein Anrufbeantworter, dreimal der
Hausmeister. Dreimal die gleiche Auskunft: Am Wochenende geschlossen. Wie
Schule, wie Ämter, wie Büros. Eines Tages werden sich die Krankenhäuser
anschließen, die Restaurants, die Hotels, Flughäfen und Bahnhöfe. O Mann! Wäre
dann die Welt echt ätzend — oder kämen wieder Gedanken auf?
Sie saßen immer noch in Hildes
Wohnzimmer. Zeit war vergangen. Besorgnis hatte Gaby ganz blass gemacht. Tim
legte den Arm um seine Freundin.
Hilde wirkte wie
geistesabwesend. Karl rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Klößchen brach die
zweite Tafel Schokolade an.
„Trotzdem!“, sagte Tim. „Ich
bin überhaupt nicht beruhigt.“
„Natürlich können sie einen
Kindergarten abfackeln“, meinte Klößchen. „Aber wenn die Kleinen zu Hause sind,
entsteht nur Sachschaden. Und der ist durch die Versicherung gedeckt, ‘ne
Brandversicherung hat doch heutzutage schon jede Hundehütte.“
Tim wandte sich an Hilde. „Wir
brauchen den Originaltext zum Nachlesen. Vielleicht steht da was von einer
Abweichung. Vielleicht war für das zwölfte Verbrechen ursprünglich ein anderer Tag
vorgesehen. Denn zweimal zuschlagen so rasch nacheinander — das ist ja auch
Stress für die Täter.“
„So ganz genau erinnere ich
mich nicht“, gab Hilde zu. „Wann haben Sie die Tagebücher gelesen?“
„Nicht nur einmal, Tim. Viele
Male. Zuerst 1933. Da habe ich sie gefunden, zufällig. Ich war 14. Beates
Hinrichtung lag vier Jahre zurück. Meine Eltern hatten die Sachen meiner
Schwester auf den Dachboden gebracht: Kleidung, Bücher, zwei kleine Koffer mit
persönlichen Dingen. Nichts Besonderes offenbar. Und niemand rührte die Sachen
an. Bei meinen Eltern bestand da eine Scheu — eine Mischung aus Abscheu, Gram,
Verzweiflung, tiefer Trauer. Ich war jung. Bei mir siegte bald die Neugier.
Heimlich habe ich in Beates Sachen gestöbert. Und bei den Büchern die
Tagebücher entdeckt. Sie waren getarnt, waren in Schutzumschläge von anderen
Büchern gesteckt. Ich weiß es noch: Band eins steckte im Umschlag eines
Märchenbuchs, Band zwei in einem Reiseführer über Afrika. Nach der ersten
Lektüre habe ich die Tagebücher wieder wie vorher versteckt, aber noch oft
heimlich darin gelesen. Meine Eltern wussten nichts davon. Erst nach ihrem Tode
habe ich auf die Schutzhüllen verzichtet. Seitdem liegen die Tagebücher in dem
kleinen Koffer, wo Karl sie entdeckt hat. Es ist nun schon lange her, dass ich
sie in der Hand hatte. Ich glaube, das letzte Mal war’s Ende der
Siebzigerjahre. Deshalb kann meine Erinnerung durchaus unvollständig sein.“
Tim sprang auf. „Holen wir sie
doch!“
Auch Hilde erhob sich. „Gut!
Aber um eins muss ich euch bitten. Ich möchte nicht, dass Beates Tagebücher
veröffentlicht werden. Unter uns hier können wir damit umgehen. Falls es
erforderlich ist, soll auch die Polizei daraus erfahren, was sie braucht. Aber
Presse und Medien nicht. Nie, das will ich nicht!“
„Wir verstehen Sie“, sagte
Gaby. „Wir leben ja leider in einer Zeit ohne Tabus und ohne Rücksichten. Jeder
Dummkopf glaubt, sich outen zu müssen, wenn er irgendein Problemchen hat. Alles
Private und jede Peinlichkeit wird an die Öffentlichkeit gezerrt — Hauptsache,
es ist schlüpfrig, schmierig oder irgendwie zum Empören,
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