Frischluftkur: Roman (German Edition)
Nachbardorf ist als Open-Air-Liebesnest bekannt, als Parkplatz d'amour. Davon abgesehen, herrscht dort kein Verkehr. Da fährt man nicht einfach so vorbei.
Die Augen folgen ihrem Finger und sehen gerade noch, wie das Bild in sich zusammenschnurrt und ganz verschwindet. Aus dem Computer steigt eine kleine Rauchwolke.
»Dass der mir hier nicht die Wände verrußt!«, ruft Hanna erschrocken. Die anderen sehen sie streng an.
»Beruhige dich«, sagt Tina, »wir sind hier gar nicht bei dir zuhause.«
»Ach ja«, fällt Hanna ein.
»Die Technik hat noch nie versagt«, wundert sich Marlies. »Und jetzt fällt sie in dem Moment aus, wenn wir sie wirklich brauchen?«
»Mich interessiert viel mehr, wer da gerade vorbeigefahren ist. Das ist doch äußerst verdächtig. Wir müssen diese Frau finden!«, drängt Petra.
»Warum eigentlich? Nur weil du so ein Gefühl hast? Ich habe auch Gefühle, aber das interessiert ja keinen ...«, nörgelt Tina.
»Die ist vor uns geflohen. Und sie hat Walter und Helmut entführt«, sagt Petra. Sie möchte die anderen am liebsten schütteln. Merken die denn nicht, dass da irgendetwas faul ist?
»Gekauft. Sie hat Walter und Helmut gekauft. Das ist ein Unterschied«, korrigiert Hanna.
»Aber schon deshalb muss sie etwas zu verbergen haben. Welche rechtschaffene Frau würde Geld für Walter und Helmut ausgeben?«, gibt Marlies zu bedenken.
»Eben!«, ruft Petra. Als Ersatzhandlung schüttelt sie ihr nicht blondes, nicht brünettes Haar. »Ich! Will! Die! Jetzt! Finden!« Sie drängt zum Aufbruch, scheucht die Frauen durch die Diele Richtung Haustür.
»Wohin denn jetzt?«, fragt Hanna.
»Zum Parkplatz d'amour, das ist unsere einzige Spur«, sagt Petra.
***
»Wir müssen uns irgendwie bemerkbar machen«, zischt Walter leise zu Helmut rüber. Der Golf hält, sie haben gehört, wie die Fahrertür zugeschlagen wurde, anscheinend ist ihre neue Besitzerin ausgestiegen.
»Wie denn?«, fragt Helmut, dem die Situation auch langsam unheimlich wird. »Sollen wir um Hilfe rufen?«
»Nein, nein, das wäre völlig verkehrt. Ich dachte an etwas Unauffälliges. Erinnerst du dich an das Märchen von Hänsel und Gretel? Die haben Brotkrumen ausgestreut«, schlägt Walter vor.
»Erstens waren denen nicht die Hände mit Handschellen gefesselt, zweitens haben die Vögel das Brot gefressen, was zeigt, dass es doch keine so gute Idee war, und drittens haben wir gar kein Brot dabei.«
»Und viertens gab es bei dem Märchen ein Happy End. Daraus lernen wir, dass wir zumindest etwas versuchen sollten«, sagt Walter.
»Fünftens ist die Frau, die für uns teures Geld bezahlt hat, keine böse Hexe. Die mag uns!«, behauptet Helmut.
»Aber sicher ist sicher. Ich hab mir etwas überlegt. Wir werfen einen von deinen Schuhen aus dem Autofenster«, sagt Walter und reibt seine kalten Füße aneinander. Septembernächte können in Norddeutschland recht frisch sein.
»Meine Schuhe? Niemals!«
»Es ist aber das Einzige, an das wir herankommen – und worüber wir zweifelsfrei identifiziert werden können.«
»Schmeiß doch deine eigenen Schuhe«, fordert Helmut.
»Ich habe leider gar keine an. Du erinnerst dich an meinen grandiosen Auftritt? Unter diesem Bademantel trage ich immer noch mein Bühnenkostüm – besser gesagt, das, was davon übrig geblieben ist.«
Helmut stöhnt auf. Da sitzt er nun gefesselt auf dem Rücksitz einer latent bedrohlich wirkenden Frau, und neben ihm fordert der fast nackige Walter, er möge sein bestes Paar Schuhe, italienisches Pferdeleder, handgenäht, aus dem Fenster werfen. Genau so hat er sich einen spaßigen Freitagabend immer vorgestellt.
»Los, zieh aus!«, befiehlt Walter und windet sich wie ein Wurm, um das Fenster herunterzukurbeln und dann mit dem Mund Helmuts Schnürsenkel zu öffnen.
»Das ist ja pervers!«, empört sich Helmut, hält aber still. Wer weiß, was die Frau mit ihnen vorhat. Obwohl: Schlimmer kann es kaum noch werden ...
Walter gelingt es gerade noch, den gut geputzten Schuh aus dem Fenster zu schleudern, bevor die Frau zurückkommt. Sie knallt die Fahrertür zu, startet und gibt Gas.
***
Die vier Freundinnen kommen an der Kamera, die das Open-Air-Liebesnest überwacht, an. Es ist kein Auto zu sehen.
»Und nun?« Hanna stapft planlos ein paar Schritte umher.
»Hier sind Reifenspuren. Denen folgen wir einfach!« Petra will nicht nachdenken, sie will jagen. Außerdem gibt es hier nur einen Weg. Der ist mit einem Schlagbaum und einem Schild versehen:
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