Frischluftkur: Roman (German Edition)
Einfahrt verboten! Die Bundesvermögensverwaltung.
»Hier liegt ein Schuh«, ruft Marlies, die den Boden abgesucht hat. Sie nimmt den Schuh in die Hand: Pferdeleder. Handgenäht. »Der muss von Helmut sein.«
»Oha, dann haben die echt ein Problem. Freiwillig würde der doch nie seine Schuhe hergeben«, vermutet Tina.
»Ach, wahrscheinlich gibt es eine ganz einfache Erklärung«, glaubt Hanna. »wahrscheinlich ist alles gar nicht so schlimm, wie wir glauben.«
»Oder viel schlimmer«, mutmaßt Marlies.
»Wie meinst du denn das?«, fragen Tina, Petra und Hanna. »Mal ehrlich: Was hat es uns gebracht, dass wir die Nachbarschaft überwacht haben? Sind wir jetzt klüger? Bessere Menschen geworden?« Marlies verschweigt natürlich alles, was mit der Steckrübe zu tun hat. Muss ja immer noch niemand wissen, dass das Buch von ihr ist. »Wir waren so auf uns und das Dorf konzentriert, wir haben gar nicht mehr gemerkt, was um uns herum vorgeht.«
»Was sollte uns denn außerhalb des Dorfes interessieren?«, fragt Hanna ungläubig. »Das Dorf ist unsere Welt. Hier haben wir doch alles, was wir brauchen.«
»Und was ist zum Beispiel mit der Globalisierung?«, fragt Marlies kritisch.
»Die brauchen wir hier nicht. Aber ein Gartenfachmarkt fehlt eigentlich noch. Zu Samen Kröger sind es immerhin sieben Kilometer. Ganz schön weit, wenn man mal nur ein paar neue Dahlien oder etwas Blühpflanzendünger braucht. Aber immerhin haben die auch eine Zooabteilung mit total sexy Schlangen«, bemerkt Tina.
Marlies stöhnt. Eigentlich dachte sie immer, sie sei die Zurückgezogenste von allen. Nun erkennt sie, dass das nicht stimmt. Die anderen merken gar nicht, dass sie sich in einer Seifenblase, in einem kleinen Biotop bewegen. Das kann doch gar nicht gut gehen.
***
Die Junggesellenbesitzerin hat inzwischen ihr Ziel erreicht. Sie scheucht Walter und Helmut aus dem Auto und in einen unterirdischen Gewölbekomplex, was diese zwar nicht sehen, aber fühlen können.
»Brrr, ist das kalt hier«, beschwert sich Walter.
»Und es riecht so komisch«, stimmt Helmut zu und begräbt die letzte verbleibende Hoffnung auf ein erotisches Abenteuer.
»Männer!«, bemerkt die Entführerin verächtlich. »Männer sind Waschlappen. Und ihr seid wohl zwei besonders weichgespülte Exemplare!« Die Frau drückt ihnen Mikrofasertücher auf den Mund und befiehlt: »Atmen!«
Die Tücher riechen sehr penetrant nach Putzmittel und künstlichem Orangenaroma, und das, wo Walter doch gar keine Zitrusfrüchte mag. Aber was bleibt ihnen übrig: Sie atmen.
Und erstaunlicherweise hebt dies ganz plötzlich ihre Laune.
»Können wir noch etwas für Sie tun?«, fragen beide eifrig, als die Tücher Mund und Nase wieder freigeben.
***
Hanna, Tina, Marlies und Petra zerren und ziehen am Schlagbaum. »Das Ding geht nicht auf«, jammert Tina. »Vielleicht brauchen wir doch einen Schlüssel?«
»Wir gehen zu Fuß!«, beschließt Petra, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren.
Die Reifenspuren führen am Waldrand entlang. »Ist es noch weit?«, fragt Tina nach ungefähr fünfhundert Metern.
»Woher sollen wir das denn wissen?«, zischt Petra.
»Puh«, sagt Tina. »Meine Schuhe sind nicht für unwegsames Gelände gemacht. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mindestens meine Lackstiefel angezogen. Die sind nämlich abwischbar.« Sie trägt Riemchensandaletten aus lila Satin.
»Das erinnert mich ein bisschen an die Nachtwanderung, die wir bei der Konfirmanden-Freizeit gemacht haben. Da haben wir uns immer Schauergeschichten erzählt«, sagt Hanna.
»Die von dem Paar mit der Autopanne? Wo die Frau im Wagen bleibt und der Mann Hilfe holen will, und dann hört sie irgendwann ein dumpfes Bumm-Bumm, und das ist ein Irrer, der ihren Mann geköpft hat und damit auf das Autodach schlägt?«, fragt Marlies.
»Igitt, nein, das ist ja scheußlich!«, kreischt Hanna entsetzt.
»Ob Helmut und Walter wohl noch ihre Köpfe haben?«, fragt Tina.
»Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagt Petra.»Ach, nun hört aber auf!« Hanna schüttelt sich.
»Psst!«, macht Marlies. »Habt ihr das gehört?«
Die anderen zucken erschreckt zusammen und horchen auf ein dumpfes Bumm-Bumm. Als sie das nicht hören, fragt Tina: Was?«
»Na, dieses Kreek-Kreek. Als würde jemand mit einem Fingernagel einen Kamm bearbeiten.«
»Vielleicht ist das ein Hilferuf von Walter und Helmut. Walter kann doch auf dem Kamm spielen und Helmut hat eigentlich immer einen dabei«, sagt Tina.
Sie
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