Frischluftkur: Roman (German Edition)
zugetraut.
Mümmel verlässt das Wellcome -Modell und kommt auf Inez von Gravenberg zugehoppelt.
»Und die Sache mit deinem weißen Kaninchen, auf das ich in den Ferien aufpassen sollte«, sagt Elsbeth Merkens. »Das war wirklich eine dumme Verwechslung. Ich habe es zu den anderen Stallhasen gesetzt, damit es ein bisschen Gesellschaft hat. Und Opa dachte, es sei der Sonntagsbraten. Der war ja auch schon ein bisschen tüddelig, er hat das nicht böse gemeint. Aber wie ich sehe, hast du jetzt ein neues Karnickel.« Elsbeth Merkens beugt sich zu Mümmel, der ein wenig an ihrem Schuh schnuppert.
»Mümmel!«, kreischt Hildegard-Inez höchst alarmiert.
»Keine Angst, ich tu dem nichts«, sagt Elsbeth Merkens. »Weil wir dich so schlecht behandelt haben, bist du weggelaufen und zur skrupellosen Konzernchefin geworden, die nur auf Rache sinnt. Mal ehrlich: Toll ist das ja auch nicht«, urteilt sie im Namen des Häkelkränzchens. »Damit so etwas nicht wieder passiert, haben wir diese vier« – sie zeigt auf Marlies, Tina, Petra und Hanna – »bei ihrer Entfaltung unterstützt. Wir haben vor allem Marlies geholfen, zu sich selbst zu finden. Das ist uns doch gut gelungen, nicht wahr?«
»Haben Sie?« Marlies ist baff.
»Natürlich. Wer, meinst du, hat Evelyn das Buch zugesteckt, das dich so inspiriert hat?«
»Das waren Sie?«
»Aber natürlich, Kind. Und nicht nur das. Wir haben ein Auge auf euch alle vier gehabt.« Elsbeth Merkens und das Häkelkränzchen lächeln milde. »Über die ganze Operation Frischluftkur waren wir natürlich auch im Bilde, wortwörtlich, wir waren nämlich von Anfang an auch mit allen Kameras verlinkt.«
Marlies, Tina, Petra und Hanna gucken verblüfft. Da dachten sie, sie wissen mehr als alle anderen – und dann ist das genau umgekehrt?
»Weshalb wir aber eigentlich hier sind«, kommt Oma Ellerbrock endlich zum Kern der Sache: »Wir möchten dich, liebe Hildegard, um Verzeihung bitten. Gibst du uns noch eine Chance?«
Elsbeth Merkens hebt Mümmel auf und gibt ihn der zitternden Hildegard-Inez. »Es ist Zeit für einen Neuanfang. Gemeinsam können wir alle etwas ändern. Komm zurück zu uns, zurück ins Dorf!«
Das Häkelkränzchen nickt bekräftigend.
***
Hildegard-Inez krallt ihre Hände in das weiche Fell des Tieres, als wäre dort ein Rettungsanker oder wenigstens die Antwort versteckt. Das ist zu viel für sie. Erst der ganze Stress im Job, skrupellose Konzernchefin zu sein ist ganz schön anstrengend, dann diese überraschende Konfrontation mit der Vergangenheit und obendrein noch die Aufforderung, zurückzukommen.
Wäre das eine Lösung?
Würde es ihr dann besser gehen?
Sie schließt die Augen und fällt um.
***
»Was ist denn jetzt los?«, fragt Oma Ellerbrock. »Haben wir etwas Falsches gesagt?« Das Häkelkränzchen geht rund um Hildegard-Inez auf die Knie und zieht allerlei Riechsalze und Wundermittel aus den Handtaschen. »Burn-out-Syndrom«, diagnostiziert Elsbeth Merken.
Edith, die die ganze Szene starr verfolgt hat, kann es nicht fassen. Die Arbeit der letzten Monate ist dahin, die Chefin liegt am Boden, und die vier Frauen, die sie schon als künftige Mitarbeiterinnen gesehen hat, zeigen sich plötzlich widerborstig. Das darf nicht sein! Da kann nur eine Dosis Fresh & Clean helfen, das wird alle zur Vernunft bringen. Sie rennt los.
»Halt!« Marlies sprintet ihr sofort hinterher. Tina, Petra und Hanna schauen den beiden immer noch verdattert hinterher.
»Nun mal los«, ruft Oma Ellerbrock. »Wir sind nicht mehr so gut zu Fuß ... und ihr müsst eurer Freundin beistehen.«
Das lassen sich die drei nicht zweimal sagen. Sie laufen los, Tina schleudert sogar ihre Riemchensandaletten von sich, ohne auch nur einen Gedanken an sie zu verschwenden.
***
Die Frauen verfolgen Edith durch die dunklen, langen Gänge des Munitionsdepots. In einem Gewölbe, das für die Chicoreezucht genutzt wird, hat Edith die Putzmittel gelagert. Dazwischen stehen noch Kästen mit alten Militärbeständen. Hier ist es nicht mehr so schick wie im renovierten Teil, die Wände und der Boden sind grau und gammelig. Edith fetzt einen Fresh&Clean -Karton auf und greift sich ein paar Flaschen Wonder Orange. In der Hektik rutscht ihr eine aus der Hand. Die Flasche öffnet sich und spritzt etwas Reiniger auf den Chicoree. Es zischt, eine lila Stichflamme schießt hoch, Qualm breitet sich aus. »Nein!«, schreit Edith schrill. Es kommt zu einer bis jetzt unbekannten, leider verheerenden
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