Frischluftkur: Roman (German Edition)
Authentisch, luxuriös, unübertroffen. Wellcome ist das größte Luxusressort in Europa«, tönt eine melodische Männerstimme aus dem Off. Dazu sieht man zunächst Luftaufnahmen einer Landschaft, die den Landfrauen sehr bekannt vorkommt. Dann ein paar Häuser, die den Landfrauen bestens vertraut sind.
»Sag mal, das ist doch das Haus von Elsbeth Merken aus dem Häkelkränzchen«, flüstert Tina zu Hanna.
»Ein historischer Ortskern verleiht Wellcome einen ursprünglich gewachsenen Charakter«, sagt die Stimme.
Computeranimierte Frauen mit seligem Gesichtsausdruck laufen durch Wellcome, erholen sich an Pools, spielen Golf, shoppen in Design-Outlets.
»Komisch, das sieht irgendwie aus wie ...« Marlies bringt es nicht über die Lippen.
»Wellcome. Träume werden wahr!« Der Film ist zu Ende, Inez von Gravenberg macht wieder Licht. Zufrieden mit ihrer Vorführung streichelt sie Mümmel. »Ja, sagen Sie es ruhig«, fordert sie Marlies auf.
»Nein!«, ruft Marlies, ein Wort, das sie in letzter Zeit für sich entdeckt hat.
»Das sieht aus wie unser Dorf«, sagt dafür Tina.
»Bravo! Das haben Sie gut erkannt!«, lobt Inez von Gravenberg. »Das ist das Dorf. Allerdings nicht mehr ihr Dorf, sondern meins. Und es wird bald kein Dorf mehr sein, sondern Wellcome, das schönste und größte Wellness-Golf-Luxusressort Europas. Es wird einfach wunderbar!«
Die Landfrauen nicken überrumpelt. Damit haben sie nun wirklich nicht gerechnet. Ebenso wenig mit dem Angebot, das die Konzernchefin ihnen nun macht: »Da Sie bislang so gute Arbeit geleistet haben – Edith hat Sie immer in den höchsten Tönen gelobt –, würde ich Ihnen gerne ein paar Posten im höheren Management meiner Firma anbieten. Sie müssten natürlich entsprechende Traineeprogramme durchlaufen, aber dann stehen Ihnen alle Türen offen.«
»Was meinen Sie mit: bislang gute Arbeit geleistet?«, fragt Tina erstaunt. »Was haben wir denn getan?«
»Ja, das wissen Sie natürlich nicht, ich hatte Edith angewiesen zu schweigen. Die Kameras. Darüber habe ich alle nötigen Informationen bekommen, die es mir ermöglicht haben, das Dorf Stück für Stück aufzukaufen. Ein Angebot hier, eine kleine, sagen wir mal ... Aufforderung da. Und dann natürlich Ihre Männer in den Seminaren. Die haben alles unterschrieben, die ganzen Kaufverträge und Abtretungsurkunden. So haben Sie mir geholfen, meinen Traum wahr werden zu lassen. Noch zwei Unterschriften und der Deal ist perfekt. Die Abriss- und die Bautrupps stehen schon bereit.«
»Sie wollen unser Dorf abreißen und dort ein Wellness-Dings bauen?« Hanna begreift langsam, worum es geht.
»Nicht ganz abreißen, der historische Ortskern bleibt erhalten. Die Leute müssen natürlich raus.« Frau von Gravenberg lächelt diabolisch.
»Wohin?«, fragt Tina entgeistert.
»Tja, das ist nun wirklich nicht mein Problem.« Die Firmenchefin sieht sehr zufrieden aus – im Gegensatz zu Hanna, Tina, Petra und Marlies. »Keine Sorge, meine Damen, Sie können natürlich bleiben. Im Wellcom e-Ressort wird es für Sie großzügige, mit allem Komfort ausgestattete Dienstwohnungen geben. Ich habe die Arbeitsverträge schon vorbereitet. Edith, führen Sie Ihre neuen Kolleginnen bitte ins Foyer, damit sie die in Ruhe durchsehen können! Und holen Sie mir die beiden Herren für die letzten beiden Unterschriften.«
***
Leicht benommen lassen sich Petra, Tina und Hanna wieder in die Cocktailsesselchen des Foyers plumpsen. Diese Nachrichten müssen sie erst mal sacken lassen. Sie halten Verträge aus kostbarem, handgeschöpftem Papier in den Händen. Nur Marlies bleibt angespannt stehen und nimmt auch den Vertrag nicht an.
Edith legt ihn auf das Beistelltischchen und eilt los, Helmut und Walter holen. Die beiden hat sie provisorisch in einem noch nicht renovierten und aufgestylten Teil des Nato-Depots zwischengeparkt.
»Klingt nach einem guten Angebot«, sagt Tina, die ein wenig in ihren Unterlagen geblättert hat. »Hunderttausend im Jahr, dreiunddreißig Tage Urlaub, Dienstwagen.«
»Hunderttausend Euro?«, fragt Petra entgeistert. »Das ist viel.«
»Sieht wirklich schick aus hier«, bemerkt Hanna, die sich noch mal umgesehen hat. »Und so sauber.«
Ganz klar: Die Landfrauen stehen unter Schock. Bis auf Marlies.
»Sagt mal, seid ihr noch bei Trost?«, fragt sie. »Die will unser Dorf niederwalzen! Sie will unsere kleine Welt zerstören.«
Tina sieht sie erstaunt an. »Aber ... aber ich dachte immer, du bist hier im Dorf
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