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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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forsch und zackig.
    »Man muss den Puder richtig einmassieren, damit sich die pflegenden Substanzen entfalten können und der Farbton sich optimal mit der Haut verbindet«, erklärt sie.
    Wilma nimmt derweil, aufgefordert von der anderen Hostess, auf dem zweiten Barhocker Platz. »Zuhause gönnt man sich ja so etwas nie. Aber wenn es nichts kostet ...«
    Die anderen Landfrauen bilden eine Traube um den Stand. Vielleicht komme ich ja auch noch an die Reihe und in das Vergnügen einer Gratis-Typberatung, denkt jede.
    Petra und Tina beginnen grinsend zu tuscheln: »Wenn Monique das jetzt sieht! Das gibt doch bestimmt Ärger!« Monique, die unumstrittene Trendsetterin des Dorfes und Inhaberin des Friseur- und Schönheitssalons, duldet keine. Konkurrenz. Doch sie ist schon weitergegangen und flirtet in der Halle Gesundheit & Fitness mit einem muskulösen jungen Mann, der einen Stab senkrecht hält, der hin und her vibriert. »Das stimuliert alle Muskeln und Sinne«, behauptet er mit einem austrainierten Lächeln. Monique schaut sich kurz um, ob andere Landfrauen in der Nähe sind. Als sie keine entdecken kann, pflichtet sie ihm erregt bei.
    Die Erdpuder-Damen ziehen nach und nach alle um sie herumstehenden Landfrauen auf die Barhocker. Die Typberatung läuft nach einem ausgeklügelten Schema ab: Zunächst wird der Erdpuder aufgetragen, der sich »individuell dem Hauttyp und dem Hautton anpasst und ganz natürlich wirkt«. Nachdem das Gesicht gleichmäßig gebräunt ist und einer Terrakottafliese ähnelt – je nach Alter der geschminkten Dame mit unterschiedlichen Abnutzungserscheinungen –, wird Lidschatten in dreierlei Flieder- und Rosétönen aufgetragen. »Das ist für den individuellen Ausdruck entscheidend. Damit modellieren sie den Blick!«, betonen die Hostessen, während sie die geschlossenen Augendeckel mit routinierten Strichen einpinseln. Nun wird etwas weißer Kajal in den inneren Lidrand gekrickelt. Das sieht schmerzhaft aus, tut aber angeblich nicht weh und »öffnet das Auge«. Damit »der Blick an Ausdruck gewinnt« muss Wimperntusche her. Der etwas älteren Hostess gelingt es, allen ihren Klientinnen exakt die gleichen aussagekräftigen Fliegenbeine zu tuschen, mit denen sie in den Tag pliert: klebrige Wimpernklumpen, drei, fünf oder sieben, zu pappigen Grüppchen verhaftet. Die Landfrauen sind entzückt.
    Eine besondere Attraktion sind die Lippenstifte. Sie sind grün, gelb, blau. »Aber damit bleiben sie mir bitte schön vom Leib«, befiehlt Wilma.
    »Das wäre aber schade«, lächelt die Hostess. Ihre Fliegenbeine hinterlassen feine schwarze Punkte unter dem Auge. »Das sind doch unsere Magic-Lipsticks. Die haben Zauberwirkung!«
    »Was hilft mir die Zauberwirkung, wenn ich aussehe wie so eine Punkerin?«
    »Sehen Sie doch«, lächelt die Hostess und bemalt Wilma eifrig die Innenseite des Unterarms mit dem grünen Lippenstift. Wilma versucht, ihr den Arm zu entwinden, doch der Griff der Hostess ist fest wie ein Schraubstock. Wahrscheinlich gibt es dafür extra Seminare, die Kraftvoll im Kundenvollkontakt oder so ähnlich heißen. Der Lippenstift auf Wilmas Arm färbt zu ihrem großen Erstaunen nicht grün, sondern Flieder. Alle Magic-Lipsticks, egal ob grün, gelb oder blau, erscheinen auf den Lippen in exakt demselben Fliederton. Das ist auch wieder langweilig, aber der Effekt in diesem Moment so überraschend und überzeugend, dass das niemandem unangenehm auffällt. Gefügig geworden, spitzt Wilma ihre Lippen, schließt ihre Augen und lässt sich von der Hostess weiter schminken – mit demselben Stift, mit dem diese schon unzählige Kundinnen auf unzähligen Messen zuvor die Lippen angemalt hat. Ist eben sehr ergiebig, so ein Magic-Lipstick.
    »So schön war ich noch nie!«, stellt Wilma begeistert fest und alle pflichten ihr bei.
    Nach ihr ist Hanna dran. Sie hat die ganze Zeit ein wenig Sorge, dass Monique auftaucht und sie zur Schnecke macht, doch sie hält tapfer still. Nur die rechte Hand wischt reflexartig über ihren Oberschenkel, als müsste sie einen besonders hartnäckigen Fleck aus ihrer Hose reiben.
    Das Ergebnis überwältigt sie: »Ich bin ein neuer Mensch!«, sagt sie erstaunt, als sie in den Handspiegel sieht. »Das hätte ich mich zuhause nie getraut!«
    »Und wie du dich in Zukunft trauen wirst«, sagt Petra. Sie hakt sich bei Hanna unter. Tina grinst die beiden breit an und pustet einmal in die Luft. »Frischluftkur«, sagt sie leise. Hanna lacht erfreut auf. Es ist eine so

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