Frischluftkur: Roman (German Edition)
ungerührt, ihre Flexi-Trainer zu erläutern. »Die bringe ich zum Schwingen«, sie fängt an, mit den Stäben herumzuwackeln, die Landfrauen in ihrer Nähe ziehen wieder die Köpfe ein, »und die Vibration bewirkt eine außergewöhnliche, tiefgehende Reaktion des Körpers. Zugleich wird passiv die Tiefenmuskulatur gestärkt.« Moniques Körper vibriert, auch noch in Erinnerung der tiefgehenden körperlichen Reaktionen, die der Trainer beim persönlichen, intensiven Beratungsgespräch bei ihr ausgelöst hat.
Die anderen Landfrauen interessieren sich allerdings mehr für das Thema, das Oma Ellerbrock auf den Punkt bringt: »Wie kommen wir nach Hause?« Der Busfahrer scheint hinüber zu sein. Mit Mühe und Ohrfeigen bringt die Ortsvertrauensfrau ihn wieder zu Bewusstsein, doch er wirkt wie volltrunken. »Den können wir wohl vergessen«, stellt Wilma fest. »Ich fahre!«
»Du?«, fragen die Landfrauen erstaunt.
»Klar, ich habe gerade drinnen auf der Messe meinen Pilotenschein gemacht. Mit dem neuen Airbus! Da werde ich ja wohl auch so einen popeligen Reisebus steuern können«, prahlt Wilma.
»Aber das war doch nur ein Flugsimulator«, widerspricht Hanna zaghaft.
»Also: Wollt ihr jetzt endlich nach Hause?«, fragt Wilma laut in den Bus.
Der Fahrer hält sich wimmernd den Schädel.
»Jaaaaaa!«, brüllen die Landfrauen zurück.
Marlies sitzt still und in sich versunken auf ihrem Sitz. Sie fragt sich, warum es bei ihr nie ... na ja, fast nie ... bis auf dieses eine Mal ... zum Äußersten kommt. Gleichzeitig ärgert sie sich über ihre Wortwahl. Zum Äußersten, wer spricht denn so? Ihr wird klar, dass es vielleicht auch ein wenig an ihr selbst liegt.
Mit Leutnant Müller-Meersack im Panzer wäre es eventuell ein wenig eng geworden. Aber was ist mit Tagträumen? Da blendet sie ab, als wäre sie ein fleischgewordener Lore-Roman! Warum eigentlich? Eigentlich , so erkennt sie hier, als wäre es ein abgelegenes tibetisches Kloster und kein mit lärmenden Landfrauen vollbesetzter Bus, doch nur, weil ich tief in mir drin glaube, dass ich den vollen Genuss nicht verdiene. Das muss sich ändern! , befiehlt sie sich. Sofort!
Sie sieht sich um. Die anderen Landfrauen beachten sie nicht. Ein guter Moment. Aber sollte sie wirklich, hier so in aller Öffentlichkeit ...? Reiß dich zusammen, Marlies, von nichts kommt nichts! Außerdem fällt ihr ein, dass ihre Tagträume sich ja in ihrem Kopf abspielen. Kann man an ihren Augen erkennen, was sie gerade denkt? Sicherheitshalber senkt sie die Lider – und legt los. Sie mit Müller-Meersack im Panzer. Vorsichtig streift sie ihm seine Uniformjacke ab, die Orden fallen klimpernd zu Boden. Zärtlich liebkost sie seine Hüften – sie weiß, sie könnte jetzt weitermachen. Sie muss nicht abblenden. Sie ist sich sicher, es könnte ihr gelingen, sich alles ganz genau vorzustellen. Das macht sie auch ...
... allerdings im Dunkeln. Im Stockfinsteren. Und ganz schnell.
Aber immerhin.
Marlies lächelt.
Wilma dreht den Zündschlüssel um und setzt den Bus ruckartig in Bewegung. Beim Ausparken touchiert sie ein paar herumstehende Fahrräder, vor der nächsten Kreuzung steht der Bus seltsam quer. Aber sie schafft es bis auf die Autobahn, gibt Vollgas und chauffiert die Landfrauen heil zum Parkplatz vor dem Feuerwehrhaus, wo sie den Bus mit quietschenden Reifen zum Stehen bringt.
Schnatternd verabschieden sich die Damen voneinander. »Wenn Frauen auseinandergehen, bleiben sie noch lange stehen«, kichert eine der schwer beladenen Ausflugsteilnehmerinnen. »Das war ein schöner Tag! Und so aufregend!«, versichern sich alle. »Aber in der Stadt wohnen? Nein, das wäre nichts für uns. Hört nur, wie friedlich ...!« Ein heulendes Motorgeräusch verschluckt den Rest des Satzes. Bauer Harms repariert mal wieder ein wertvolles Stück aus seiner umfangreichen Kettensägensammlung.
Nach und nach zerstreut sich die Runde, schwer beladen machen sich die Landfrauen auf den Heimweg. Tina zieht ihr Sprudelbad am Seil hinter sich her, Petra überlegt, wo sie die drei Kästen Likör am besten vor ihrem Mann versteckt, und Marlies träumt von Flugabwehrkanonenpanzern. Und was man darin alles Verwegenes machen könnte.
Hanna öffnet vorsichtig die Eingangstür. Fußspuren auf den Fliesen, das sieht sie sofort. »Heinz«, ruft sie. Erst leise, dann nachdrücklich: »Heinz!« Aber er antwortet nicht. Er ist nicht da. Seine Halbschuhe und seine Jacke fehlen auch.
»Sie haben ihn abgeholt«, sagt
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