Frischluftkur: Roman (German Edition)
Accessoires. So siehst du aus wie eine Spinatwachtel!«
Selber Spinatwachtel , giftet Marlies im Geiste zurück. Wenn schon Wachtel, denkt sie, dann bin ich ein Wachtelkönig. Über den hat sie gerade etwas gelesen. Ein unscheinbar aussehender kleiner Vogel, der aber trotzdem aus irgendeinem Grund sehr wichtig ist. Ich bin eine Wachtelkönigin! Leider kommt Marlies nicht dazu, den reizvollen Gedanken in Ruhe weiterzuverfolgen, denn die Damen wollen los. Sie nehmen ihr den Helm ab und drängen sie zum Mitkommen. Doch Marlies muss erst noch ein paar Broschüren mit Titeln wie Waffensysteme und Großgerät mitnehmen. »Guckt mal, hier, das Binnenminensuchboot Frauenlob – das wäre doch was für mich! Das hat zweitausend PS«, sagt sie, ungewöhnlich redselig.
»Ja, toll, aber meinst du nicht, dass der Badeteich für so etwas zu klein ist?«, fragt Hanna.
»Dann vielleicht das Aufklärungssystem Drohne CL 289 ? Das betreibt einen unbemannt programmierbaren Aufklärungsflugkörper.«
»Unbemannt bist du doch selber«, bemerkt Tina ein wenig taktlos.
Marlies steckt noch schnell ein paar Bewerbungsformulare für die gehobene Offizierslaufbahn ein und sieht sich nach Leutnant Müller-Meersack um. Sie entdeckt ihn in einer Ecke auf einer Bahre liegend, bewusstlos.
»Was ist denn mit ihm?«, fragt sie einen der umstehenden Sanitäter.
»Ach, der hat in einer dieser neuen ABC-Masken hyperventiliert und ist ohnmächtig geworden. Im Ernstfall wäre er jetzt hin«, antwortet der.
Marlies überlegt, ob sie noch warten soll, bis er aufwacht, doch die anderen drängen zum Weitergehen. Ein Mann, der ohnmächtig wird? Vielleicht ist er doch nicht der Richtige, denkt Marlies. Und ärgert sich, dass ihr immer etwas dazwischenkommt.
»Ich habe Hunger«, stellt Petra fest. »Da vorne ist die Halle 6, Internationales & Spezialitäten«, sagt sie und weist ihren Freundinnen den Weg. »Da können wir unseren genialen Schachzug mit den Fresh&Clean -Männerseminaren feiern. Ich möchte etwas richtig Exotisches essen.«
»Du meinst Chinesisch oder so? Ratte?« Hanna schüttelt sich bei dem Gedanken. Sie hat alle Vorurteile in Sachen ausländische Küche von ihrer Oma übernommen. »Da drüben ist doch gleich Die Schlemmerschule – das gläserne Kochstudio. Lasst es uns da probieren.« Sie gehen ein paar Schritte bis zu der Glaswand, hinter der verschwitzte Kochlehrlinge unter dem Motto »Kreativ mit Kräutern« hektisch scheiterhaufenähnliche Gebilde aus Rosmarinzweigen anhäufen, die immer wieder in sich zusammenfallen.
»Die sind aber süß«, säuselt Tina beim Anblick der verzweifelten Jungs.
»Aber ich will doch keinen Wald essen«, sagt Petra.
Hanna gibt nach und folgt ihnen zu den internationalen Spezialitäten. Der Weg dahin wird ihnen durch diverse Gratis-Wein- und Likörverkostungen versüßt. Nach knapp fünfzig Metern hat Petra drei Kisten klebrigen Limonenlikör, Hanna zwei Magnumflaschen Kirschwasser, das wie Brennspiritus riecht, und Tina zwölf Sixpacks Original Elk Brew geordert (sie weiß selber nicht so ganz genau, was das sein soll, aber der Verkäufer mit dem Elchgeweih auf dem Kopf sah so niedlich aus). Dann sind sie endlich in der Wunderwelt Internationales & Spezialitäten. Tina wirft sich einen kreischend-lila Kimono über, während Petra eine sehr kratzige Andenmütze mit Bommeln und passendem Poncho ersteht. Marlies bleibt vor einem Stand stehen, der einen verführerischen Geruch ausströmt. Angeboten wird etwas Frittiertes, fingergroße Stäbchen, die leichte Ähnlichkeit mit Pommes frites haben. Was ist denn das? Marlies liest – und kann ein verwegenes Grinsen nicht unterdrücken. »Ich gebe eine Runde aus«, ruft sie erstaunlich lebhaft und verteilt kleine Schälchen an alle.
»Hmmm, schön knusprig«, sagt Hanna. »Schmeckt ein bisschen wie die Käsestangen meiner Oma, nur ohne Käse. Was ist denn das?«
»Afrikanische Pommes frites«, antwortet Marlies und lächelt geheimnisvoll.
»Die sehen irgendwie seltsam aus«, argwöhnt Tina. »Guckt mal, sind das hier nicht Beine?« Sie hält eines der frittierten Teilchen gegen das Licht. Genau erkennen, was da in diesen krossen Teig eingebacken ist, kann sie allerdings nicht.
Ein Blick auf das Schild, dass diskret an der Seite des Standes angebracht ist, hätte Klarheit gebracht: Heuschrecken – nahrhaft und lecker steht darauf. Nur hat sich Marlies genau so davorgestellt, dass die anderen drei Damen es nicht sehen können. Sie könnten es
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