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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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er besser aus als alle Männer, die Marlies je im Dorf gesehen hat. Der ist also nicht von hier , denkt sie.
    Der Mann schaut ihr direkt in die Augen. Dann fragt er: »Muss ich die Bananen hier wiegen oder wird das an der Kasse gemacht?«
    Marlies zeigt stumm auf die Waage, die seitlich vom Obstarrangement platziert ist, direkt unter dem künstlichen Baum, der Marktplatzatmosphäre schaffen soll und darin von einem plastikvogelverzierten Kupferbrunnen unterstützt wird. Gerne würde sie noch »Nummer 69« sagen, aber sie schafft es einfach nicht.
    Der Mann nimmt die Bananen, sechshundertsiebenundsiebzig Gramm, wie Marlies registriert, und die Ananas und geht Richtung Kasse. Vorbei an der Bio-Ecke, an der sieben Meter langen Käsetheke und der zehn Meter langen Theke für Fleisch- und Wurstwaren, zwischen den Kühltruhen und den Kühlregalen hindurch. Am Appetit-auf-Asien -Sortiment biegt er ab, lässt die Pasta-Spezialitäten und die Tchibo-Sonderverkaufsfläche links liegen, durchquert die Süßwarenauswahl, zögert kurz vor der Weinecke, nimmt die Drogeriewarenabteilung nur aus dem Augenwinkel wahr. So legt er im lässigen Schlendergang zweihundert Meter zurück, verfolgt von Marlies, die sich unauffällig zwischen den Regalen duckt, bis sie gegen Frau Knurre prallt.
    »Ach, Fräulein Marlies, Sie sind sicher auf dem Weg zu den neuen Kartons mit der Special Edition Magic-Asia -Instant-Suppen. Die müssen dringend ausgepackt werden!«
    Marlies nickt und versucht, einen Blick auf den Parkplatz zu erhaschen. Vergeblich, an den Schultern von Frau Knurre kann niemand so leicht vorbeigucken. Der Mann ist weg, spurlos verschwunden. Marlies holt ihren Cutter aus der Tasche, überlegt kurz, ob sie Frau Knurre niederstechen soll, einfach so, im Affekt, verwirft den Gedanken und schlitzt den Klebestreifen des Magic-Asia -Kartons auf, so, wie die Figuren es in den Computerspielen ihres Cousins Ulf mit den fiesen Monstern machen. Mit Ulf trifft sie sich manchmal, weil dann ihre Eltern und Ulfs Eltern zufrieden sind. Man will ja nicht die immer lauter geäußerten Vermutungen der Nachbarn, dass »die Kinder nicht unter die Haube kommen«, schüren. Deshalb haben Ulf und Marlies ein Abkommen geschlossen: Ulf holt sie einmal im Monat ab, mit dem Auto natürlich. Er tut so, als würde er Marlies groß ausführen, doch stattdessen hocken sie in Ulfs Zimmer. Er spielt Ballerspiele am Computer oder guckt brutale Filme, die er sich aus dem Internet geladen hat, und Marlies sagt nichts, bis Ulf sie nach angemessener Zeit wieder nach Hause fährt. Für Marlies ist das okay, nichts sagen fällt ihr nicht schwer. Anfangs fand sie das Geballere und Gemetzel in den Filmen ein wenig befremdlich, das kam in ihrer Welt und den Heftchen nicht vor. Aber dann, nach einiger Zeit, merkte sie, dass sie fasziniert auf den Bildschirm starrte. Da waren Leute, die wussten, wie man sich durchsetzt. Die sich einfach nahmen, was sie wollten. Ohne viele Worte. Warum groß den Mund aufmachen, wenn man mit einem Flammenwerfer oder einer Panzerfaust viel deutlicher sagen kann, was man will? Ein Butterfly-Messer oder ein kleiner Vorrat dieser praktischen asiatischen Wurfsterne in der Handtasche erschien ihr plötzlich sehr sinnvoll. Als sie sich am nächsten Tag beim Möhrenschneiden in den Finger säbelte, verwarf sie diesen Gedanken jedoch erst mal wieder.
    Beim Tütensuppeneinräumen verfällt Marlies wieder in angenehme Tagträume: Sie sieht sich auf einer Dschunke den Yangtse entlanggleiten, von kostbarem Porzellan essen, das Gesicht weiß und die Lippen kirschrot geschminkt. Sie geht auf Trippelschritten in einen Palast, in dem kostbare Vasen stehen, verbeugt sich tief vor einem Mann, der aussieht wie ... na ja, wie der eben mit der Ananas. Dabei öffnet sich wie zufällig ihr tausend Jahre alter Kimono und ...
    Aus.
    »Kommst du nachher auch zum Schützenfest?«, fragt Evelyn, die jetzt, kurz vor Feierabend, etwas erholter aussieht.
    »Hmm, vielleicht«, murmelt Marlies. Aber sie weiß auch, dass ihre Freundinnen Hanna, Tina und Petra ihr keine Ruhe lassen werden. Die bestehen darauf, dass Marlies mitkommt. Sie sind immer noch Außenseiterinnen im Ideenkreis Junger Landfrauen und fühlen sich einfach wohler, wenn sie Monique & Co. als Gruppe gegenübertreten. Deshalb werden sie anrufen und Marlies so lange nerven, bis sie endlich ein »Ja« oder mindestens »Na gut« aus ihr herausgepresst haben. Die können das. Und das will schon was heißen, wenn man

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