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Frischluftkur: Roman (German Edition)

Frischluftkur: Roman (German Edition)

Titel: Frischluftkur: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Rick
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höchstens an Marlies' erstaunlich zufriedenem Gesichtsausdruck ahnen. So guckt sie sonst nie. Aber das fällt den anderen nicht auf.
    Hanna bestellt eine zweite Portion. Danach wird ihr ein wenig übel. »Wahrscheinlich, weil die Dinger so fettig sind«, meint sie zu Petra. Sie überlegt kurz, mit einem der gekauften Putzmittel zu gurgeln, verwirft den Gedanken dann aber wieder. Stattdessen schnüffelt sie an The Best for the Best ; der Apfel-Zimt-Duft tut ihr gut.
    »Lass mich auch noch mal riechen!«, fordert Tina und nimmt ebenfalls eine Nase voll. Sofort spürt sie das Verlangen, ihre Bluse aufzuknöpfen. »Ist euch auch so heiß?«, fragt sie die anderen, während sie sich Knopf für Knopf vorarbeitet. Sie erblickt eine durchsichtige Badewanne, in der es verlockend sprudelt. Davor ein recht einladend aussehender Verkäufer, der könnte mit dem Latexputztuchmann verwandt sein. Tina strebt auf ihn zu, ihre Freundinnen folgen ihr gespannt.
    »Darf ich Ihnen unser neuartiges Sauerstoffbad vorstellen?«, fragt der Jude Law der Sprudelbäder und redet, ohne eine Antwort abzuwarten, weiter: »Reine Sauerstoffperlen umhüllen Ihren Körper, Sie werden sich danach wie neugeboren fühlen. Hier, testen Sie mal!« Er hält seine Hand neckisch ins Wasser. Tina nimmt die Aufforderung an. Sie schält sich aus Ober- und Unterbekleidung, erklimmt etwas unbeholfen das Podest, auf dem die blau illuminierte Wanne steht, und gleitet hinein. »Brrr, ist das kalt«, beschwert sie sich.
    Der Verkäufer ist einen Moment verdattert, stellt sich aber dann auf die für ihn anscheinend ungewohnte Situation ein. »Die Temperatur können Sie hier stufenlos regeln«, erklärt er so trocken wie möglich und zwingt seinen Blick von Tinas durchtrainiertem Körper auf den weniger formschönen Sprudelgenerator. »Und Sie haben natürlich die Wahl zwischen verschiedenen belebenden Programmen. Ich gehe hier mal auf Stufe 5, das ist aktivierend.«
    »Als ob Tina nicht schon aktiviert genug wäre«, flüstert Hanna Marlies zu.
    In der Badewanne fängt es heftig an zu blubbern, und Tina quietscht und kreischt vergnügt. Der Verkäufer stöhnt vor Wonne. Ihre Freundinnen wenden sich nun doch verschämt ab, dem Stand mit den automatischen Massagegeräten gegenüber zu. Die bohren jedoch unangenehm mit ihren mechanischen Stummelpfötchen im Rücken herum.
    Hanna zieht es von dort magisch zu Maschinen, die aussehen wie in einem James-Bond-Film der sechziger Jahre. Große Spulen drehen sich, rote und grüne Lämpchen blinken hektisch. Umfangreiche grafologische Charakteranalyse wirbt ein Schild, nur € 3, – .
    Das ist ja fast geschenkt, denkt Hanna. Eigentlich wollte sie nie wissen, was für ein Mensch sie eigentlich ist, sie hat sich nie besonders für sich selbst interessiert. Aber im Messe-und Apfel-Zimt-Duft-Rausch erscheint ihr dieses Angebot einfach unwiderstehlich. Sie füllt eines der auf dem Tresen liegenden Kärtchen aus und reicht es zusammen mit drei Ein-Euro-Münzen einer streng aussehenden Frau in einem weißen Kittel. Die schiebt es in einen Maschinenschlitz, worauf die Räder rotieren, die Lampen blinken und ein mit Maschinenkraft geführter Stift eine Linie auf ein Auswertungsblättchen zeichnet. Dieses Blättchen reicht die strenge Kittelfrau Hanna, ohne sie dabei anzusehen. Vielleicht ist sie auch eine Maschine?
    Sechsundvierzig Charaktereigenschaften hat der Automat analysiert. Wissenschaftliche Resultate sind nicht garantiert steht winzig klein gedruckt ganz unten auf dem Blatt. Aber das sieht Hanna nicht. Sie ist gebannt von der Linie, die der Automat gezeichnet hat. Sie linst kurz nach rechts und links. Bei den anderen Kundinnen ist diese Linie gezackt, mit mehr oder weniger heftigen Ausschlägen nach rechts und links, wo die einzelnen Charaktereigenschaften aufgeführt sind. Auf der einen Seite steht zum Beispiel diszipliniert, kritisch, auf der gegenüberliegenden Seite künstlerisch, kreativ. Hanna hätte hier vielleicht eine Tendenz zu diszipliniert erwartet, wenn sie sich mal etwas mit sich selbst beschäftigt hätte.
    Aber da ist kein Ausschlag. Keine Tendenz. Hannas Charakterkurve ist ein gerader Strich. Ohne Abweichungen, Neigungen. Weder. Noch.
    Hanna erschrickt. Was soll das heißen? Dass sie keinen Charakter hat? Wenn das rauskommt ... Das darf niemand wissen!
    Petra guckt auf die Uhr. Es ist viel später, als sie gedacht hat. »Hast du Hanna gesehen?«, fragt sie Marlies.
    »Nö.«
    »Eben war sie doch noch hier bei den

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