Frischluftkur: Roman (German Edition)
wirklich so. Ich kann dir das beweisen!« Er holt seinen Führerschein aus der Brieftasche und reicht ihn Jule, obwohl ihm das wegen des Fotos etwas peinlich ist. Auf dem Bild ist er erst siebzehn, hat noch keinerlei Bartschatten, dafür aber einen neckischen Mecki-Haarschnitt. Und er trägt einen Pulli, den seine Mutter ausgesucht hat, das kann man schon am Kragen sehen.
»Ach, du liebe Scheiße!«, reagiert Jule ganz undamenhaft.
»Ja, blödes Bild, ich weiß.« Romeo windet sich.
»Ach Quatsch, das meine ich doch gar nicht. Dein Nachname! Du bist ein Montag!«
»Und, was ist daran so schlimm?«
»Na, ich bin Jule Kappel. Die Tochter des Wirts. Kappel. Verstanden?«
Im ersten Moment ist Romeo erleichtert. Wenn Jule die Tochter des Bordellbetreibers ist, heißt das, dass sie nicht hier arbeitet. Jedenfalls nicht als Freudenmädchen. Das ist schon mal gut. Doch langsam sickert bei ihm durch, was ihr Nachname wirklich bedeutet: Ärger. Alte Feindschaft, unüberwindbare Gräben. Ein Montag und eine Kappel? Undenkbar! Eher würde sein Vater SPD wählen. Der würde durchdrehen, wenn Romeo Jule mit nach Hause brächte. Und Hermann Montag dreht gerne mal durch, wie Romeo sich mit Schaudern ins Gedächtnis ruft. »Oh nein!«
»Und jetzt?«, will Jule wissen.
Sein Leben lang hat sich Romeo darauf verlassen, dass ihm gesagt wird, wo es langgeht. Aber das geht jetzt nicht mehr. Er schluckt und merkt, wie er von einer Sekunde auf die andere zum Mann wird. »Jetzt gibst du mir meine Telefonnummer. Und ich dir deine«, sagt er mit fester Stimme. »Ich meine ... genau anders herum. Wir tauschen unsere Telefonnummern. Ich will dich nämlich unbedingt wiedersehen!« Romeos Augen plieren sie an, auf seinem Gesicht macht sich das leicht dämlich wirkende Lächeln eines Verliebten breit. »Ganz oft!«
»Du gehst aber ran«, staunt Jule. So fasziniert von ihr war noch kein Mann. Und dann gleich einer, wie sie ihn sich immer gewünscht hat: zart, sensibel, verträumt – nicht die Sorte, die Jule normalerweise hinter der Theke von Papas Puffs trifft. Außerdem: Diesen ganz besonderen Traumtyp hat sie noch nie in den ihr bekannten Etablissements getroffen, im Gegensatz zu den meisten anderen Männern hier.
Sie tauschen ihre Telefonnummern, schnell, denn Tyron ist wieder hereingekommen und marschiert auf die beiden los.
»Du gehst jetzt besser«, warnt Jule Romeo. Der gesellt sich widerwillig zu seinen Freunden.
»Bist du wahnsinnig?«, empfängt ihn Marco. »Das ist die Lütte vom Kappel!«
»Lütte kann man wohl schlecht sagen – bei dem Umfang!«, lästert Ben. »Außerdem ist die mindestens dreißig!«
»Ach, haltet doch die Klappe!«, regt sich Romeo auf. »Was wisst ihr schon von wahrer Liebe?«
Die Freunde sind einen Moment still. Er hat Recht , denken beide, wir wissen wirklich nichts von wahrer Liebe. Na und?
»Und was weißt du davon?«, entgegnet Ben trotzig.
»Noch nicht sehr viel«, muss Romeo zugeben. »Aber ich werde alles darüber herausfinden. Ich fühle es ganz tief in meinem Herzen!«
»Dein Herz ist ein Salatkopf, wenn du dich ausgerechnet mit der Kappel einlässt!«, warnt ihn Marco. »Das gibt doch nichts als Ärger!«
Schon klar , denkt Romeo. Und Ärger liegt ihm eigentlich gar nicht. Aber was soll er machen? Er ist verliebt. Und diesem Gefühl ist er hilflos ausgeliefert – immerhin ist er Anfang zwanzig, sein Hirn ist vernebelt und er läuft mit Dauerlatte herum. Endlich hat dieses ganze Sehnen und Ziehen in seinem Herzen ein wundervolles Ziel gefunden!
»Komm, trink noch einen Orgasmus und amüsier dich mit ins!«, fordert Marco.
Aber Romeo will nichts trinken. Er will sich nicht amüsieren. Er will verliebt sein. Also verlässt er das Puderdöschen und streift ein wenig ziellos durch die Gegend, ohne sich dabei weit zu entfernen. Er hofft, Jule noch mal zu sehen.
Direkt hinter dem Puderdöschen steht das Haus, in dem die Kappels wohnen, umgeben von einer hohen Mauer. Romeo geht drumherum und herum und herum. Gut, dass hier im Gewerbegebiet der gesamte Boden gepflastert ist, sonst hätte er tiefe Furchen gezogen. Dann zieht er eine Mülltonne an die Mauer und klettert in den Innenhof. Dort kauert er sich seufzend in eine Ecke.
Stunden später geht Licht an im Hause Kappel. Jule betritt den Balkon. »Scheiße, scheiße, scheiße!«, murmelt sie, erst ganz leise. Dann schreit sie, so laut sie kann: »Scheiße!«
Davon wird Romeo, der in seiner Ecke eingenickt ist, wach. Er bleibt ganz
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