Friss oder stirb
Landwirtschaft betreibt oder eine große, ob man Getreidebauer ist oder Gemüsebauer.“ [ Abb. 23 ]
Clemens G. Arvay : Sie beide, Anne und Peter, sind seit den 1970er-Jahren im Ökolandbau aktiv. Was wollten Sie anders machen, als es die industrielle Landwirtschaft tut?
Peter Segger : Die grundsätzliche Inspiration für uns war, dass wir herausfinden wollten, ob es möglich ist, auf effektive Art und Weise Lebensmittel in der kleinstrukturierten Landwirtschaft zu erzeugen. Wir lasen damals ein Buch von Ernst Friedrich Schumacher, eines britischen Ökonomen deutscher Herkunft. Das Buch trug den Titel „Small Is Beautiful“ (zu Deutsch: „Klein ist schön“). Schumacher trat schon damals für angepasste Technologien ein. Es ging ihm darum, Technik und Wirtschaft an die Bedürfnisse der Menschen anzupassen und nicht, umgekehrt, die Menschen an die Technik und Wirtschaft. Schon in den frühen 1970ern erschien es mir sehr fragwürdig, dass alles immer größer und größer werden musste. Das war auch die Zeit, in der die Landwirtschaft überall auf der Welt zu einem riesengroßen, industriellen Geschäft wurde. Alles musste wachsen. Ich erinnere mich daran, als hier in Wales all die Hecken aus der Landschaft verschwanden und die Weiden und Felder immer größer wurden. Mischkulturen wurden durch die Monokultur ersetzt. Die Vorstellung vom Boden, der über Jahrhunderte die Basis der Landwirtschaft war, änderte sich. Plötzlich wurde er nur mehr als Substrat betrachtet, in das man Pflanzen setzt, die man dann „füttert“. All das brachte eine ganze Reihe von Konsequenzen: Die Menschen verließen das Land, weil immer mehr Maschinen eingesetzt wurden und die Arbeitsplätze schwanden. Weniger Menschen bedeutet auch weniger Pubs, weniger Werkstätten, weniger Läden, weniger Postämter und so weiter. Die Landbewohner mussten immer weitere Strecken zurücklegen, um ihre Bedürfnisse zu stillen. Unsere Gesellschaft veränderte sich stark. In den ländlichen Regionen kam es auch zu einer sozialen Verarmung: Wenn es immer weniger Leute in der Nachbarschaft gibt und man immer weiter fahren muss, um Freundinnen und Freunde zu sehen, dann begegnen die Menschen einander auch immer seltener. Die Gesundheit und Vitalität der ruralen Gebiete der Erde – also der ländlichen – nahm dramatisch ab. „Wohin sollte diese Entwicklung führen?“, dachte ich mir. Das Ergebnis sind regelrechte Agrarwüsten auf dem Land und ein totaler Abzug der Menschen in die Ballungszentren – also das genaue Gegenteil davon, wie es über den Großteil der menschlichen Kulturgeschichte war.
Clemens G. Arvay : Konnten Sie auch einen Einfluss dieser Entwicklung auf die Qualität der Lebensmittel feststellen?
Peter Segger : Natürlich litt auch die Qualität der Nahrung unter diesen Veränderungen. Wir verstanden recht bald, dass es eine interessante Verbindung zwischen der Qualität des Bodens und der Qualität der Lebensmittel gibt.
Anne Evans : Außerdem fanden wir heraus, dass eine enge Verbindung zwischen der Gesundheit von Boden, Pflanzen und Tieren und der Gesundheit von Menschen besteht. Ich bin davon überzeugt, dass die Ernährung auf ganz grundlegende Art und Weise die Gesundheit des Menschen beeinflusst. Vermutlich bräuchten wir einen großen Teil der modernen Medizin heute weit weniger, wenn in unserer Gesellschaft mehr Augenmerk auf reichhaltige und natürlich produzierte Nahrung gelegt werden würde. Diese Einsicht motivierte uns schon in den 1970erJahren, und dann entwickelten wir uns bis heute weiter.
Peter Segger : Man muss auch sagen, dass die Schwierigkeiten, die uns als junge Menschen in den Siebzigern auf den Weg gebracht haben, heute in unserer Gesellschaft breit diskutiert werden. Die Probleme mit unserer Umwelt wurden im Laufe der Jahrzehnte größer und größer. Seit den Neunzigern wurden der Klimawandel und die Kohlendioxidemissionen in der breiten Öffentlichkeit thematisiert. Später wuchs das Bewusstsein über die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Umgangs mit Wasser an, und heute – seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts – ist sogar die Idee ganzer Ökodörfer salonfähig und immer mehr Menschen werden sich bewusst, wie essenziell ein besserer Umgang mit dem Boden für unsere Zukunft ist. Es gibt also einen gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und die Umweltproblematik bekommt ein politisches Gewicht, während sich in der Industrie relativ wenig verändert.
Clemens G. Arvay : Was ist die
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