Friss oder stirb
Landwirt auf. Zwei Jahre später lief der Hof mit 3 Kühen, 25 Ziegen und 15 Milchschafen auf Hochtouren. Die Tiere wurden alle von Hand gemolken. Die Milchleistung betrug 80 Liter pro Tag, was unter extensiver bergbäuerlicher Wirtschaftsweise beachtlich ist. Selbst gemachte Käsesorten und Joghurt verkaufte Jean-Philippe vorwiegend auf biologischen Wochenmärkten.
„1999 gesellte sich meine Frau Regine, die aus Deutschland stammt, hinzu und ließ sich auf meinem Bergbauernhof in den Pyrenäen mit einer eigenen Töpferwerkstatt nieder. Wir bewirtschafteten den Hof noch weitere zehn Jahre erfolgreich, ehe wir 2009 nach Steyerberg in Deutschland zogen. Regine hatte Heimweh bekommen.“ Jean-Philippe lächelte.
Umgehend suchte er sich in Niedersachsen ein Stück Land zur Pacht, das er schon demnächst kaufen wird. Seit 2009 ist Jean-Philippe kein Bergbauer mehr, sondern baut im von Heidevegetation dominierten Steyerberg eine Vielzahl an biologischen Gemüsearten und -sorten an: verschiedenste Speisekürbisse und Zucchini, unterschiedlichste Tomaten- und Paprikasorten, Auberginen, Kartoffeln, Zwiebeln, Rote Rüben, die man in Deutschland als Rote Bete kennt, und andere Wurzelgemüse, Salate, Mangold, Spinat, versuchsweise sogar Erdnüsse im Folientunnel und vieles mehr. Jean-Philippe ist ein echter Vielfaltbauer. Er greift ausschließlich auf alte, samenfeste Sorten zurück, von denen er das Saatgut von Jahr zu Jahr selbst weitervermehrt, um die Schätze der Kulturpflanzenvielfalt zu bewahren und von der Agrarindustrie unabhängig zu sein. [ Abb. 25 ]
Wie schon auf dem Bergbauernhof in den Pyrenäen, arbeitet Jean-Philippe auch auf seinem Gemüsebaubetrieb in Steyerberg ohne Maschinen. Er zeigte mir eine Stechgabel mit sieben Zinken und zwei Stielen – einem für die rechte und einem für die linke Hand. Unter Einsatz seines Körpergewichts und „ganz ohne Mühe“, wie er mir versicherte, demonstrierte er, was das eigens aus Frankreich importierte Werkzeug alles konnte. Er rammte die sieben metallenen Zinken ins Erdreich und bewegte die Holzstiele in die Richtung des Bodens. Durch die Hebelwirkung schoben sich die Zinken durch die Erde nach oben, wobei sie das Erdreich anhoben und lockerten, ohne es aber zu wenden. „Das ist die perfekte Art, den Boden zu lockern. Alles bleibt im Gleichgewicht, die Bodenschichten werden nicht durcheinandergebracht.“ Gleichzeitig wurde die Grasnarbe mitsamt Wurzeln ausgehebelt und aus der Erde gezogen. Mit einer gekonnten Bewegung schob Jean-Philippe das liegen gebliebene Gras mit der monströsen Stechgabel zur Seite. Auf diese Weise entstand im Handumdrehen ein feinkrümeliges Saat- und Pflanzbeet. „So mache ich das überall auf meiner Fläche“, sagte Jean-Philippe. Seine Parzellen hat er in Halbkreisen angelegt, denn „wieso soll man immer nur gerade Linien haben?“
Wir begaben uns auf einen Spaziergang durch die Anlage. „Mein Ziel ist es, auf dieser Fläche wieder ein Gleichgewicht zwischen Bäumen, Sträuchern und den Gemüsepflanzen herzustellen. Die Bäume sind sehr wichtig, weil sie Feuchtigkeit und Mineralstoffe tief in der Erde aufnehmen und nach oben befördern. Außerdem beeinflussen sie das Klima positiv – global ebenso wie das lokale Klima auf meinen Feldern. Deswegen habe ich hier Streifen mit Gemüse, und dazwischen sind Streuobstbäume und Beerensträucher gepflanzt. Die 10 Gemüseparzellen sind 8 Meter lang und 50 Meter breit.“
Eine Streuobstwiese heißt deswegen so, weil auf ihr die Obstbäume nicht in Reih und Glied stehen, sondern verstreut. Es handelt sich um hochstämmige Bäume mit ausladenden Kronen. Diese Form des Obstbaus war üblich, bis die Streuobstwiese ab den 1970er-Jahren durch den industriellen Intensivobstbau mit seinen Spindelbäumen verdrängt wurde – auch bei biologischer Produktion. Ein Spindelbaum ist ein Baum mit kurzem Stamm, dessen Wachstum durch starke Schnittmaßnahmen reguliert wird. Solche Bäume werden weder groß noch alt, tragen aber früh und lassen sich mit schweren Maschinen pflegen und beernten. Streuobstwiesen hingegen sind heute nur mehr als Relikte vorhanden, obwohl sie extrem wertvolle Lebensräume für gefährdete Tier- und Pflanzenarten darstellen und als vielfältige Biotope mit zahlreichen ökologischen Nischen erkannt wurden.
Jean-Philippe Genetier möchte auf seiner Fläche zur Reaktivierung der altbewährten Streuobstkultur beitragen. Außerdem bewirtschaftet er, neben seinen Mischkulturen, ein
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