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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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schläft noch«, meinte sie. » e r braucht morgens immer etwas länger. Seinen Schlüssel jedenfalls hat er nicht abgegeben, was er immer macht.«
    »Ich kenne seine Usancen. Das Beste im Leben verschläfst du, sage ich immer. Ich gehe mal hoch und klopfe, oder die Putzfrau öffnet«, radebrechte ich mit meinem italienischen Akzent und wendete mich ab zum Gehen. »Ach ja, welche Zimmernummer hat er denn?«, fragte ich noch. Die kleine Maus zögerte.
    »Hören Sie, er ist ein alter Freund von mir. In zwei Stunden geht mein Flieger. Er würde es Ihnen nie verzeihen.«
    »Die 114«, hauchte sie und wurde ganz rot.
    »Grazie, mille grazie«, dienerte ich und steuerte den Fahrstuhl an. Es war Mittagszeit und ich verspürte Hunger. Ich war froh, keinen Italiener mehr markieren zu müssen. Es war eine alberne Nummer. Aber ich konnte nicht einfach wieder aufhören, wenn ich schon mal mit dem Akzent angefangen hatte. Der Flur im 1. Stock war leer. Ich lief eine Weile an ein paar Dutzend Zimmernummern vorbei, bis ich endlich vor der 114 stand. An dem runden Türknauf hing das Schild ›Nicht stören‹. Was sollte ich jetzt tun? Klopfen – und die Tür geht auf und vor mir steht Nardini, der Killer?
    »Hallo, Nardini, ich habe die Rothaarige getroffen, die hat mir Ihren Koffer gegeben, danke für die Kohle, kann ich gut gebrauchen, und wie geht es denn so?«
    »Toll, toll«, würde Nardini sagen, »die Rothaarige ist ein Ass. Also, wie die meinen Koffer geschnappt hat! Bevor ich überhaupt auch nur einmal Päng machen konnte.«
    Ich klopfte und wartete. Nichts rührte sich. Ich klopfte wieder. Da machte kein Nardini die Türe auf. Ich begab mich auf die Suche nach einer Zimmerfrau. Nach einem längeren Marsch durch die Flure des 1. Stocks fand ich eine in der Wäschekammer.
    »Oh, Gott sei Dank, Sie müssen mich erlösen. Ich habe mich ausgesperrt.«
    Die Frau schaute mich freudig strahlend an, als hätte ich ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht. Sie nickte bejahend und sagte etwas auf Türkisch. Jedenfalls klang es so. Sie konnte kein Deutsch, wie sich herausstellte. Ich drückte ihr 20 Euro in die Hand und winkte ihr, mit mir zu kommen. Das Strahlen drohte das Gesicht zu sprengen. Wir blieben vor der 114 stehen. Mit viel Gebärden machte ich ihr klar, dass ich mich selbst ausgesperrt hatte. Ich wollte nach einer Zeitung Ausschau halten, die häufiger, eigentlich immer, nur heute nicht, vor die Türen gelegt wurde, und dann ein Windstoß, huiiii und päng: zu war die Tür. Als Kind spielte ich mit Witz und Hingabe Kasperletheater. Meine nie anwesenden Zuschauer waren immer begeistert. So auch die Zimmerfrau, wie ich ihr den Wind vorspielte, der die Tür gepackt hatte und die Zeitung wie ein Segel aufblies, ich mich in letzter Sekunde noch gegen die Türe warf, aber schon war sie zu. »Sie sind meine Rettung«, sagte ich zu ihr. So viel Theaterkunst überzeugte sie. Sie öffnete die Türe mit ihrem Generalschlüssel.
    Es war eine Suite. Sie wirkte völlig unbewohnt. Die Vorhänge waren zugezogen und es war stockfinster. Ich tastete nach einem Lichtschalter und knipste Licht an. Im Bad war nichts. Wie sollte es auch? Seine Sachen standen bei mir zu Hause in der Wohnung. Das Schlafzimmer war leer. Dann hörte ich leise Stimmen. Ich folgte ihnen. Es war ein Fernseher, der lief. In einer Talkshow diskutierte man über Deutschland als Sanierungsfall. Ein bekannter Blödmensch aus der Industrie, ein Experte, der seinerseits Gutmenschen blöde fand, wie eine Kaffeetasse ohne Henkel, predigte, dass die viel zu hohen Lohnnebenkosten das Problem seien. Dann sah ich ihn. Erst seine Glatze, die über den Rand eines Sessels vor dem Fernseher ragte mit dem Rücken zu mir. Ich umkurvte den Sessel und sah ihn von vorne. Er sah nicht wirklich gut aus. Er hatte in der Stirn ein kreisrundes, kleines Loch, aus dem etwas Blut getropft war. Er trug einen Anzug und war dünn. Die Adern auf seinen Handrücken waren dick und bläulich. Ich schätzte ihn auf Mitte 30. Unbeteiligt starrte er auf den Bildschirm. Viel zu sagen hatte er nicht mehr. Er war mausetot. Er sah aus wie ein korrekter Buchhalter mit blässlicher Hautfarbe und frischem Kurzhaarschnitt, der ein Nickerchen machte. Einen Killer hatte ich mir anders vorgestellt. Auf dem Tischchen vor ihm stand ein volles Whiskyglas. Etwas an der Situation störte mich. Vom Fernseher bis zur Eingangstür war es ziemlich weit. Wie konnte der Mann in aller Seelenruhe erschossen vor dem Fernseher

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