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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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dass ich es gar nicht bin, der sie beglückte, sondern ein mir fremder Kerl, den ich ignorierte? Eben ein amputierter siamesischer Zwilling, den ich nicht los würde? Ein Lustbeschaffer, aber nicht auf meine Kosten? Komme, was da wolle? Das sagte ich natürlich nicht. Ich sagte, ist sonst noch jemand hier außer dir? Das überzeugte. Nur, lange hielten diese Verhältnisse nie.
    »Du liebst mich nicht«, sagte sie irgendwann. »Doch, doch«, beteuerte ich. Es half nichts. Sie ging. Was hatte meine mir selbst fremde Lust mit meinen Gefühlen zu tun? Gar nichts, aber genau das wollte sie. Jede, eine nach der anderen, wollte diese Einheit von Gefühl und Lust. Alles Frauenlüge. Mein siamesischer Zwilling sprach sich herum. Viele Frauen landeten bei mir nur seinetwegen. Nicht meinetwegen. Nach meinen Gefühlen, ganz unabhängig von meiner Lust, zu fragen, auf die Idee kam keine.
    Aber nie würde ich sagen, ich wäre traumatisiert. Davon bin ich weit entfernt. Ich war mir etwas fremd, aber diese Fremdheit behinderte mich in keiner Weise. Ich hatte keine wüsten Assoziationen von Schrecklichem, was mir widerfahren wäre, im Gegenteil: Meine Mutter war eine Schönheit. Ich bekam keine Schweißausbrüche oder ein nicht beherrschbares Zittern beim Anblick eines Frauenbeines, nein, ich genoss Frauenbeine voller Hingabe, besonders sanft geschwungene Kniekehlen hatten es mir angetan, die sich wegspreizten, wenn mein siamesischer Zwilling am Werke war. Nur hin und wieder spürte ich die Geierkrallen, die sich wie Fremdkörper in meine Schultern schlugen. Auch sie ignorierte ich. Ich konnte es ignorieren. Und ich fuhr gut damit. Ein paar Geierkrallen im Rücken, die sowieso keiner sieht, mein Gott, was solls? Einfach drüber wegsehen. Und dass ein gewisser Blick mich schwach machte und wütend zugleich, das wusste ich ja. Meine Ausraster hatten noch keinem wirklich geschadet. Es war ein Webfehler meiner Natur, der sich auch durchaus prickelnd auf der Haut anfühlte. Manchmal ging ich in eine Schickimicki-Bar und bestellte mir einen Martini Dry. Ich wartete. Irgendwann stand so ein Fuzzi neben mir. Im dunkelblauen Lack seines offenen BMW-Cabriolets blinkte die Lichtreklame der Bar. Man sah die Karre durch die große Scheibe.
    »Wir haben zu viele Schmarotzer«, sagte der Fuzzi zu seinem Nachbarn. Darauf hatte ich gewartet. Ich nahm sein Bierglas, ging vor die Kneipe und schüttete das volle Glas in das Cabriolet auf den Fahrersitz. Der Fuzzi folgte samt Kumpel. Ich kam gleich zur Sache. Immer auf die Nase. Dem Kumpel auch. Ohne Vorwarnung. Das Blut spritzte. Ich ging. Ich hatte bei solchen Events das Gefühl, ich hatte es meinem siamesischen Bruder gezeigt. Ihm galt der Nasenstüber. Diesem Weichei. Egal. Ich wollte nicht über alles nachdenken. Es machte einfach Spaß, einem Idioten in die Fresse zu hauen. Hinterher musste ich stundenlang kichern. Als hätte ich gerade einen saukomischen Film gesehen, der einfach nicht aufhören wollte. Dieses Kichern konnte sich bis zum lauten Lachen steigern. Ich lachte gerne.
    »Du bist pervers«, hatte die ledrige Psychotante aus dem ›Lentz‹ zu mir gesagt, als ich ihr davon erzählt hatte. »Fritz, stell dir mal vor, es geht mal was schief.«
    »Schief? Wie schief?«
    »Eine zertrümmerte Kinnlade, eine Anzeige«, hielt sie mir vor.
    »Wieso denn das?«, fragte ich. »Sehe ich doch gar nicht ein. Mein Siamese genießt auf seine Weise, ich auf meine. Soll ich völlig leer ausgehen? Und immer nur er an der Reihe sein?«
    Ich hatte schon lange keinen Ausraster mehr. Ich würde gerne mal wieder lachen.
    Ich war natürlich zuerst ins ›Dollinger‹ gegangen, ehe ich mich auf die Spur von Martha Klein machte. Der Tag begann mit Milchkaffee und wenigstens einer Zeitung. Doris kam. »Wie immer einen Milchkaffee«, sagte ich, »und die ›Bildzeitung‹.«
    »Du die ›B.Z.‹?«, fragte Doris. Dazu holte ich mir den ›Tagesspiegel‹ und die ›Berliner Zeitung‹. In keiner stand etwas von Nardini. Ich ging davon aus, dass man ihn spätestens am Abend entdeckt hatte. In einem Hotel wie dem ›Esplanade‹ wurden zum Schlafengehen die Decken aufgeschlagen und frisches Obst und eine Flasche Champagner ans Bett gestellt. Ich sah es förmlich vor mir, wie die breit grinsende Zimmerfrau, die mir geöffnet hatte, sich erst umsah, »hallo, da wer?« fragte, aber niemanden sehen konnte, dann das Bett aufdeckte, das Obst und den Champagner auf ein Beitischchen stellte, die Vorhänge zuzog, dabei die

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