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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Glatze über dem Sesselrand schweben sah, »oh« machte und sich davonschleichen wollte, dann aber neugierig wurde, weil die Glatze sich nicht rührte, der Fernseher übertrug gerade ein Interview mit Ballack, und in diesem Moment den Toten entdeckte, der jetzt doch schon ziemlich tot aussah.
    Das sah sie sofort. Sie stieß keinen markerschütternden Schrei aus, wahrscheinlich hatte Nardini ihr nie Trinkgeld gegeben oder nur ein ganz geringes, nein, sie ging ganz ruhig aus dem Zimmer und benachrichtigte die Rezeption. Die rief die Polizei. Die Ereignisse nahmen ihren Lauf.
    Doris brachte den Milchkaffee und die ›Bildzeitung‹. Na, wer sagts denn! Nardini ganz groß auf der Titelseite.
    TOTER IM › Esplanade ‹. ERSCHOSSEN!
    Auf dem Foto sah er aus wie eine Spitzmaus. In dem Artikel stand, dass niemand wüsste, wer der Tote sei. Alles sei mysteriös, auch der Freund, der ihn zum Zeitpunkt seiner Ermordung zuletzt noch besucht hatte und der nach dem bisherigen Ermittlungsstand wahrscheinlich kein Freund, sondern der Mörder war. Oder war es ein Sexualmord? Es folgte eine ausführliche Beschreibung von mir. Wahrscheinlich sei der Freund Italiener wie Nardini, obwohl der Freund einen hellblonden, dichten Schopf habe, der nach allen Seiten wie Spargel abstünde – so stand es da, wie Spargel! – und untersetzt sei und mittelgroß und einen merkwürdig hüpfenden Gang habe und eine kräftige Nase. Die Stimme sei sonor und dunkel. Ein Phantombild des vermutlichen Mörders folge in der nächsten Ausgabe. Da war ich aber gespannt, auf das Phantombild. Jedenfalls wussten Nardinis Auftraggeber jetzt, oder wer auch immer ihn nach Berlin geschickt hatte, dass ihr Zögling tot war. Weggepustet von einem Freund, der keiner war. Das missfiel ihnen mit Sicherheit. Sie würden bestimmt gerne mehr wissen über diesen Freund. Über mich. Über die Hintergründe des Ablebens ihres Killers. Da würde sich nun jemand auf die Socken machen. Ein anderer Killer, der mir ein Loch in die Stirn machen sollte.
    »Was guckst du so nachdenklich?«, fragte Jean. »Was macht die Rothaarige?«
    »Das wüsste ich auch gerne«, erwiderte ich. »Such dir eine andere. Bei dir bleibt doch sowieso keine. Überspring sie einfach. Heute gibt es Schollen.«
    Mit diesen weisen Worten trug Jean die Fische ins Lokal. Er war seit 20 Jahren mit Angélique verheiratet, einer Bretonin, die ihn eisern mit den Fingern am Ohr durch das Leben führte. Ihm bekam das gut. Ohne diese Leitfinger käme Jean ins Taumeln. Nur einmal im Jahr hatte er das Sagen. s echs Wochen lang in seinem Schiff bei einem Segeltörn auf der Ostsee mit Angélique, die dabei immer seekrank wurde und sechs Wochen lang nur kotzte.
    »Kübelweise«, grinste Jean. Ich hätte auch gerne Finger am Ohr, einen wenigstens, zumindest ab und zu. Dann, wenn ich nicht durchblickte. Wie jetzt.
    Ich las die ›Berliner Zeitung‹. Jean stellte mir sechs Austern hin.
    »Das baut dich wieder auf«, tröstete er. Er warf einen Blick in die Zeitung. »Schwere Schlappe für Bush«, las er. »Oberstes US-Gericht erklärt Militär-Tribunale gegen Gefangene im Lager Guantánamo für illegal. Na, Guantánamo kann bei uns wenigstens nicht passieren«, sagte Jean und ging zurück ins ›Dollinger‹.
    Ich schlürfte die Austern und beträufelte sie nur mit Zitrone. Die ersten Fußballfans liefen vorbei. Das Olympiastadion lag nicht weit vom Stuttgarter Platz entfernt. Ich zahlte bei Doris und machte mich auf den Weg zum Landeseinwohneramt in der Schleizerstraße. Dort war der Polizeiärztliche Dienst untergebracht. Ich wollte alles über Martha Klein erfahren, die angeblich verschwunden war. Ich konnte nicht ahnen, dass mich die Spur von Martha Klein in ein ganzes Labyrinth von Schränken führen würde, in die Toten- und Knochenschränke, wo die halb toten Lebenden hausten, die mit den ausgelöschten Seelen, mitten in Berlin, am helllichten Tage. Die Schleizerstraße war im Osten Berlins. In der Nähe des berüchtigten Stasigefängnisses Hohenschönhausen. Aber das war reiner Zufall. Wenn auch ein makabrer.

6

    Die S-Bahn ratterte am neuen, weitläufigen Kanzleramt vorbei. Der Reichstag verschwindet dahinter nahezu. Im Kanzleramt laufen alle auf Rollschuhen, dachte ich, um richtig regieren zu können, oder sie kommen immer zu spät. Die wenigsten können bremsen, knallen durch die Scheiben und landen in der Spree. Fußgänger promenierten auf den neu angelegten Uferpromenaden, die proper und wie gestaubsaugt

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