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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Hagel der Granaten, der Mörser, der Geschütze und der schweren MGs zusammenbrachen, zerfetzt bis zur Unkenntlichkeit, Söhne, die von ihren jubelnden Müttern und Frauen mit gehobenen Herzen erbarmungslos in die Schlacht geschickt worden waren. Mütterliche Hurras und Jubelschreie bei jeder Siegesmeldung. Es rannte nie ein Soldat an gegen diesen atemberaubenden Koloss, der, in sich ruhend, von der Welt abgeschirmt, uneinnehmbar war.
    Attacken auf dieses Hauptwerk der Maginotlinie, von 1925 bis 1935 gebaut, gab es keine. Die feindlichen Deutschen umgingen ihn. Die Hurras aus zerschossenen und verätzten Kehlen erklangen woanders. Es war unmöglich, diese in Beton gegossene Kriegsmaschine mit einem Blick zu umfassen. Sie erstreckte sich in
    19 Blöcken auf 160 Hektar, in denen 1140 Soldaten lebten, befehligt von 45 Offizieren, verteilt auf mehrere Etagen, in bis zu 96 Metern Tiefe, fernab der Welt, der Städte, der Dörfer, der Straßen und Äcker, von denen sie stammten. Militärisches Strandgut im Inneren eines stählernen Wales, in dem die abgeschotteten Männer ein Eigenleben führten. Vier Tonnen Granaten konnten aus den Geschützrohren und Panzertürmen in einer Minute verschossen werden. Ein explodierendes, alles vernichtendes Trommelfeuer. Es waren jaulende Granaten, Leiber zerfetzende Schrappnells. Keine Postkarten an die Liebsten voller Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen, kein In-die-Arme-Sinken, kein Winken mit dem Taschentuch zum letzten Abschied.

    Wir hielten vor dem ehemaligen Munitionseingang, der als Besuchereingang gekennzeichnet war. Ein Reisebus und mehrere Personenwagen standen dort. Andere kamen hinzu. Festlich gekleidete Menschen, offenbar Hochzeitsgäste, entstiegen ihnen. Die meisten Frauen trugen Kopftücher und lange Gewänder. Darüber Mäntel. Die Kopftücher waren vielfarbig, bestickt, mit Goldschmuck behängt und kunstvoll verknotet. Die Männer stolzierten in schwarzen Anzügen. Die Menschen begrüßten sich, umarmten sich, klopften sich auf die Schultern, küssten sich, lachten und schwatzten. Es war ein bewegtes, fröhliches Treiben einer offenbar islamischen Gemeinde. Junge Mädchen reichten auf silbernen Tabletts Süßigkeiten.
    Zwischen den Hochzeitsgästen bewegte sich ein Kamerateam. Ein sehr dünner Mann, klein, in einem hellbraunen, karierten Anzug. Sehr schmallippig. Eine ungewöhnlich lange Nase. Die Gesichtsfarbe war gelblich. Er war offensichtlich der Regisseur.
    »Betty, sie kommen gleich, sie kommen gleich, sind die Akkus noch voll, dahin, dahin, Platz, Platz«, dirigierte er die Kamerafrau. Die war um mehr als einen Kopf größer als ihr Dirigent. Unter einem schmallippigen, ausgefranst wirkenden Mund sauste das Gesicht über ein nicht vorhandenes Kinn in einem steilen Sturz abwärts und ging bruchlos über in den langen, zu dünnen Hals, der in einem schwarzen, zu großen Rollkragenpullover verschwand. Auf der ebenfalls überdimensionierten Nase trug sie eine Brille mit dünnem Goldrand. Betty wuchtete die Kamera auf ihre Schultern. Die Kamera wog offensichtlich schwer. Betty ging mehrmals leicht in die Knie, um mit einem kurzen Ruck aus den Knien heraus die Kamera auf der Schulter richtig zu positionieren. Sie trug enge, schwarze Röhrenhosen. Dadurch wirkten ihre langen Beine sehr dünn und zerbrechlich. An den Füßen trug sie Gesundheitssandalen und gelbe Socken. Auf dem Kopf hatte Betty viele kleine Löckchen, die spiralenförmig abstanden.
    Der Regisseur trug im linken Ohrläppchen einen großen Goldring. Vielleicht wollte er einmal Pirat werden. Er hatte viel zu lange Arme, mit denen er wild ruderte, um Betty durch die Menge zu dirigieren. Auch die Beine wirkten viel zu lang, auf denen der Mann lief, weil die Hosen des Anzuges zu kurz waren, so, wie auch die Jackenärmel kaum über die Ellenbogen reichten. Jedes Bein des Mannes wollte für sich rennen und jeweils in die andere Richtung. Der Mann war ständig dabei, diesen Wirrwarr seiner Beine neu zu ordnen. Es wirkte wie das andauernde Stolpern einer Marionette, deren Strippenzieher sich in den Schnüren verheddert hatte. Er sprach unaufhörlich auf Betty ein, ordnete dabei seine Beine, fuchtelte mit den Armen und schien nie zur Ruhe kommen zu wollen. Ich kam beim Anblick dieses seltsamen Pärchens aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Neben mir stand ein jüngerer Mann. Ich fragte ihn, ob er dieses Filmteam kennt.
    »Oh ja, die kennt hier in der Gegend jeder. Sie kommen vom › Der Sender ‹ .«
    »Der

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