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Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser

Titel: Fritz Neuhaus 03 - Nichtwisser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Senf
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Sender?«
    »Ja. Einfach ›Der Sender‹. Er sendet in Forbach, hinter der Grenze.«
    Beifall brandete auf, Rufe erklangen, eine allgemeine Aufgeregtheit breitete sich aus. Die Menge strömte auf einen Punkt zu. Das Brautpaar war vorgefahren.
    Wir näherten uns dem Menschenknäuel.
    »Hast du dieses Filmpaar gesehen?«
    Barbara waren sie also auch aufgefallen. Ich fürchtete schon, wieder Halluzinationen zu haben.
    Es war ein offener Cadillac, schwarz mit weißen Ledersitzen, in dessen Fond das Brautpaar saß. Der Chauffeur war ein Riese. Ein Mensch, unübersehbar, mit mächtigen Schultern, der in der großen Limousine hinter dem Lenkrad wie in einen Schraubstock eingeklemmt saß. Er hatte aus dem Hemdkragen schwellende Nackenwülste, von der Krawatte mühsam gebändigt, die dunklen Haare waren wegrasiert, unter den buschigen Augenbrauen dominierte eine enorm fleischige Nase. Kleine, flinke, listige Äuglein wieselten rechts und links der Nase hin und her. Ihnen entging nichts. Auch Barbara und mich traf der Blick aus diesen Äuglein, zögerte für einen Moment. Wir wurden im Hirn dieses Riesen gespeichert und abgelegt für eine eventuelle Verwendung. Das Gesicht des Mannes war von Pockennarben übersät. Die ganze Erscheinung bestand aus explosiver, entschiedener Brutalität. Widerspruch gab es bei dem Mann nicht.
    »Das ist ein Tier«, sagte Barbara und hakte sich, als wollte sie Schutz suchen, bei mir ein.
    »Das muss Mlasec sein, der im Lager das Sagen hat. Martin Degrange hat ihn erwähnt. Der Mann sei ein Tier.«
    Der Riese stieg aus und öffnete den hinteren Wagenschlag. Als Erstes stieg der Bräutigam aus. Ein hageres Männchen, um dessen Körper ein viel zu großer Anzug schlotterte, in dessen Knopfloch ein weißes Nelkensträußchen gesteckt war. Die Haut des Mannes war merkwürdig spröde, fast schuppig. Nervös fuhr er sich mit der rechten Hand mehrmals durch sein Haar. Er wirkte müde. Er war sichtlich nicht in Hochform. Er stand da wie deplatziert. Teilnahmslos. Der Bräutigam, dessen Alter schwer zu schätzen war, wurde von dem Riesen wie ein Stück Möbel beiseitegeschoben, um der Braut Platz zu machen. Frauen begannen, wohl aus Rührung, beim Anblick der Braut zu weinen. Sie war übersät mit Goldschmuck. Frauen und Männer steckten mit Nadeln große Geldscheine in das Brautkleid. Die Braut hielt den Blick gesenkt. Unter dem reich verzierten Kopftuch konnte ich ihr Gesicht nicht erkennen. Die Braut schaute nicht auf, auch nicht, als das Paar fotografiert wurde. Trotz aller Zurufe hielt sie den Blick nach unten gerichtet. In ihren Händen hielt sie ein zerknülltes Taschentuch. Der Riese warf ihr ein paar heftige Worte zu. Es nutzte nichts. Der Blick hob sich nicht.
    »Glücklich ist die nicht.«
    Barbara gab wieder meinen Arm frei und drängelte sich in die Menge, bis sie ganz nahe bei dem Brautpaar stand. Dem Fond des Cadillacs entstieg jetzt ein großer, schlanker Herr mit grau melierten Haaren. Er war ein schöner Mann. Sehr gepflegt, trotz seines Alters, ich schätzte ihn auf 50 Jahre, von straffer, sportlicher Haltung. Ein kleiner, schmaler Schnurrbart zierte seine Oberlippe. Als wäre er Errol Flynn persönlich. An ihn erinnerte mich diese Gestalt, an dessen Seite sich ein weiterer Lichtblick gesellte, allem Anschein nach die Gattin. Sie war ein munteres, hübsches Vögelchen, jünger als er, das immerzu zu allem zwitscherte, mit dem Schnäbelchen durch das Gefieder strich, es putzte und glättete, und ein Paar prachtvoller Beine zur Schau stellte. Damit, mutmaßte ich, erschöpfte sich ihr Daseinszweck. Die ganze Gesellschaft bewegte sich jetzt auf den Eingang des Munitionslagers zu.
    Barbara war immer noch in der Nähe des Brautpaares. Irgendetwas bezweckte sie. Vielleicht war ihr etwas aufgefallen. Aber was sollte ihr aufgefallen sein? Sie schaute sich kurz nach mir um. Ich folgte mit einigem Abstand. Über den Eingang stand geschrieben On ne passe pas. Man kommt hier nicht vorbei. Das war Sinn und Zweck dieser Bunkeranlage.
    Die Menge betrat das ehemalige Munitionslager. Es war eine riesige Halle, nur spärlich beleuchtet von großen Industrielampen, die an langen Kabeln von der Decke hingen. Über den Lampen war es dunkel. Man konnte die Decke der Halle nicht sehen. Die Menschenmenge stand in diesem gelblich diffusen Licht, das nicht weit in die Dunkelheit reichte und sich dort bald verlor. Dann flammten von allen Seiten, wie zum Beginn eines Schauspiels, nachdem sich der Vorhang

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